»new work – geht auch im handwerk«

  • 15.06.2022 (aktualisiert)
  • von christiane kuerschner
  • Lesezeit: 10 Minuten
Wir sprechen mit Unternehmer Stefan Janßen über die besonderen Herausforderungen des neuen Arbeitens im Handwerk und warum sich die Branche auf seine Werte besinnen muss, um veränderungsrobust zu bleiben ...
Jetzt spenden

Stefan Janßen kommt aus einem Familienunternehmen und kennt das Leben und Arbeiten im Handwerk von der Pike auf. Heute begleitet er Unternehmen dabei, das „Neue Arbeiten“ für sich zu entdecken.

Stefan, wenn in den Medien von “New Work” gesprochen wird, dann haben viele Digitalagenturen oder Unternehmensberatungen im Kopf; vielleicht auch einzelne Bereiche von großen Konzernen, die neu arbeiten möchten, aber dann ist oft Schluss. Dein Thema ist das neue Arbeiten im Handwerk. Was machst Du genau? Und vor allem: wie bist Du zu “New Work” gekommen?

„New Work“ ist mittlerweile ein schwer zu definierender Klammerbegriff für alle Sichtweisen und Methoden, die von der traditionellen Arbeitsweise abweichen. Daher nutze ich lieber die deutsche Schreibweise „Neues Arbeiten“ und biete Handwerksbetrieben Hilfe an, den eigenen Unternehmenssinn wiederzufinden.

Der ist beim Handwerk schon automatisch gegeben. Oft wird dieser aber aufgrund der ganzen Verwaltungsaufgaben und behördliche Auflagen immer mehr aus den Augen verloren. Die Beschäftigung mit diesen internen Aufgaben zu reduzieren und mehr Raum für die echte Handwerksarbeit zu schaffen, die man wirklich machen möchte, ist die Aufgabe meiner Baustelle Zukunft GmbH.

Viele Ansätze der „New Work“-Bewegung habe ich in meinen dreißig Jahren als Unternehmer stets gelebt. Seit 2016 weiß ich nun auch, dass es so heißt und habe viele Veranstaltungen von vielen Anbietern zum Thema besucht. Mein Denken wird vor allem durch mein in Jahr im Upstalsboom Curriculum und die Ausbildung zum Future Leadership Consultant bei der intrinsify Akademie geprägt.

Was ist dein eigener unternehmerischer Background?

Ich war schon früh im handwerklichen Familienunternehmen tätig. Dabei entwickelte ich erst aus Bequemlichkeit, dann aus Überzeugung, ein Verständnis von Zusammenarbeit, das auf Vertrauen und Könnerschaft anstatt von Kommando und Kontrolle basiert.

»Entscheidungen werden von der Person getroffen, die die beste Lösungskompetenz bietet, unabhängig von jeglicher Hierarchie.“«

Diese Denkweise hat mir in dreißig Jahren als Unternehmen viel Regulierungsaufwand erspart.

Aktuell bin ich geschäftsführender Gesellschafter zweier Unternehmen. Mit „Moin Solar“ bieten wir regional Photovoltaik-Anlagen an. Meine „Baustelle Zukunft GmbH“ plant neben der Beratung von Handwerksbetrieben den Bau nachhaltiger Bungalows.

Wie groß ist der Veränderungsdruck im Handwerk?

Ganz aktuell zeigen die ungeahnten Preissteigerungen beim Material, dass auch das Handwerk in der VUKA-Welt angekommen ist. Globalisierter Wettbewerb, volatile Märkte und Planungsunsicherheit durch technologische und wirtschaftliche Umbrüche zwingen auch Handwerksbetriebe, veränderungsrobust zu werden und neue Wege durch ein neues Denken zu gehen.

Und was sind dabei die drängendsten Herausforderungen in der Organisation der Handwerksbetriebe?

Seit vielen Jahren übersteigt die Nachfrage das Angebot in vielen Handwerksbereichen. Doch ohne Fachkräfte, Material und wirtschaftliche Arbeitsweise kann man davon keinen Nutzen ziehen.

Für mich sind daher die wichtigsten Herausforderungen im Handwerk:

  • Die Möglichkeiten der Digitalisierung intelligent zu nutzen, um wieder mehr reelle Handwerksarbeit leisten zu können.
  • Junge Menschen von der Sinnhaftigkeit der handwerklichen Tätigkeit zu überzeugen. Bauhandwerker*innen schaffen zum Beispiel Lebensmittelpunkte für Familien. Damit können Digitalagenturen und Unternehmensberatungen nicht wuchern.

Was macht es so herausfordernd, „New Work“ im Handwerk zu leben? Sind Handwerker beratungsresistent?

Das Handwerk hat nicht so eine starke Lobby wie die großen Industriebranchen. Daher wurde es von der Politik auch selten bevorzugt oder berücksichtigt.
Dies hat bei vielen Handwerksunternehmen zu einem grundsätzlichen Misstrauen geführt. Ich versuche zum Einstieg durch eine Förder- und Organisationsberatung, Freiräume in Zeit und Geld zu schaffen.

Durch das gewonnene Zutrauen spreche ich dann Angebote zur Selbstführung für die Unternehmer*innen aus. Die Treppe wird von oben gekehrt, das gilt auch bei der Unternehmensentwicklung im Handwerk.

Gibt es wiederkehrende problematische Organisations- oder Haltungsmuster, auf die du in dieser Beratungsphase immer wieder und insbesondere im Handwerk triffst? Und welche Aufgaben warten am oberen Ende der Treppe?

Es braucht viele kleine Schritte auf dem Weg in eine neue Denkweise.
Dabei ist es wichtig, überhaupt erst einmal die Freiräume zu schaffen, um sich von der reinen Facharbeit lösen zu können. Über Fragen wird auf die wirklichen Aufgaben, Ziele und Träume des Teams geschaut. Oft gibt es ein schlechtes Gewissen, da Reden im Handwerk nicht als Arbeit anerkannt wird. Mit diesem Vorurteil versuche ich aufzuräumen. Reden hilft.

Die Organisationsstrukturen sind in kleinen und mittelständischen Unternehmen andere als in Konzernen. Gibt es da auch Fallstricke?

Bei einem Teil der Handwerksbetriebe gibt es eine organisch gewachsene Struktur, die aber selten bewusst gestaltet worden ist. Dies kann hinderlich für eine geplante Gestaltung der Organisation und ihrer Abläufe sein.

Es gilt, dass Gute der organischen Organisation zu bewahren und den „Wildwuchs“ einzugrenzen. Also dort, wo sich das Unternehmen schädigende Muster eingefangen hat. Wenn die Lebendigkeit erhalten und durch sinnvolle Strukturen gestützt wird, kann ein Unternehmen sich prächtig entwickeln.

Welches Potenzial kann durch eine gute Beratung freigesetzt werden?

Eigentlich muss nur wieder ausgegraben werden, was durch Bürokratie, falsches Führungsverständnis und mangelnde Kommunikation verschüttet worden ist: Der Stolz, mit dem Handwerk wertvolle Arbeit zu leisten.

Daraus ergibt sich meine These: Gutes Arbeiten ist im Handwerk Tradition. Der kleine Plausch zwischendurch, die Liebe zum Detail – Markus Gunti hat das in einem unserer Interviews schön ausgeführt – und wie man vielleicht sagen könnte, eine gute Work-Life-Balance zwischen Hobelbank und Küchentisch war einmal ein wichtiger Teil der Arbeitswelt. Muss man also vielleicht auch einfach nur einen Schritt zurück machen?

Die Industrialisierung im Zusammenspiel mit dem Taylorismus hat die Arbeit von der Könnerschaft gelöst und vom Menschen entfernt. Durch die Rationalisierung der Arbeit wurden die Emotionen verdrängt. Ratio statt Emotio. Nun rasen wir im Schnellzug des Turbokapitalismus auf eine ökologische Katastrophe zu.

Der notwendige Schritt zurück in eine Welt des rechten Maßes sinnvoller Produkte, die ohne Marketinggeschrei gekauft werden, ist auch wieder ein Schritt in Richtung Handwerk. Ein hochwertiger, handwerklich gut gemachter Tisch begleitet einen das ganze Leben und ist nachhaltiger als zehn chinesische Tische vom Möbeldiscounter.
Die Rückkehr zur guten Arbeit bedient auch die Utopie von Frithjof Bergmann aus seinem Manifest „Neue Arbeit, Neue Kultur“. Es braucht keine Work-Life Balance, wenn wir bei der Arbeit leben dürfen. 

Danke für das Gespräch!


Stefan Janßen, tief verwurzelt in Friesland, ist seit drei Jahrzehnten Unternehmer in verschiedenen Branchen: Als Autobauer, Produzent von Recycling-Möbeln, Heimtiernahrungshersteller, Solarteur, Abteilungsleiter Frauenfußball, Bauunternehmer und Berater. Dabei waren ihm von Anfang an viele Aspekte eine Herzensangelegenheit, die heute der New Work zugeordnet wurden. Ausgezeichnet mit dem New Work Award 2020 von XING für seine Baustelle Zukunft GmbH erscheint im Winter 2021 sein erstes Buch zum Thema neues Arbeiten im Handwerk.

Wie hat dir der Artikel gefallen?

Newsletter

  • Mit dem Abonnieren unseres Newsletters erkennst du unsere Datenschutzerklärung an.