»die corona-chroniken«

  • 16.06.2021
  • von christiane kuerschner
Jule Jankowski hat die "New Work Corona-Chroniken" geschrieben: Seit März 2020 spricht sie unermüdlich mit Akteur*innen, Expert*innen und sonstigen interessanten Menschen, die Einblicke, Ausblicke und Emotionen dieser spannenden Zeit wiedergeben. Und sie hat 5 GOOD WORK Prinzipien für uns ...
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Wie ging es uns eigentlich in den ersten Monaten der Pandemie? Im Lockdown, plötzlich zu Hause, allein mit unserer Arbeit, vielleicht der Familie? Was hat das mit uns gemacht? Und was wird es langfristig mit uns machen? Wer ein enorm breites Stimmungsbild haben möchte, der hört die Corona-Chroniken von Jule Jankowski, den GOOD WORK-Podcast, der im März 2020 pünktlich zu den landesweiten Schulschließungen startetet. Wir sprachen mit ihr über das Mammutprojekt und ihre Motivation.

Liebe Jule, für dich war die Corona-Krise der Anlass, den Podcast ins Leben zu rufen, oder?

Im Prinzip schon. Doch der Gedanke zu den Corona-Chroniken kam mir, als die Krise hier in Deutschland noch recht abstrakt war. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern: Es war der 13. März 2020, als sich abzeichnete, dass ab Montag bundesweit die Schulen schließen werden.

Damals dachte ich mir: “Krass, wenn jetzt alle Schule schließen und alle Kinder zu Hause bleiben müssen, wie organisieren die Eltern ihre Arbeit?”

Mir war in dem Moment klar, dass die Veränderungen ungeheuerlich und die Menschen mutmaßlich überfordert sein werden. Ich stellte mir die Frage, wie die Menschen diese Disruption bewältigen werden. Meine Hypothese war, dass sich einerseits enorme Lernchancen bieten werden und gleichzeitig diese Transformation den Menschen so viel abverlangen wird, dass ihr Fokus erst einmal auf “Prozesse sichern” und weniger auf “reflektieren und lernen” gerichtet sein wird.

Ich dachte mir: “Jetzt müssen wir einfach mitschreiben, verstehen und lernen werden wir viel später.” Meine eigene Arbeit war bis dato zu nahezu 100% präsenzorientiert. Das hieß, ich war auf absehbare Zeit erst einmal ohne Beschäftigung. So setzte ich mir quasi selbst den Hut der Chronistin auf und schrieb mit. 

Wir hatten schon darüber gesprochen: Wer im ersten Lockdown keinen Hund adoptiert oder zumindest ein Buch geschrieben hat, der hat einen Podcast gestartet. Warum ist es bei dir gerade ein Podcast geworden?

Wie wahr! Mit der Idee, einen Podcast zu starten, war ich tatsächlich nicht sonderlich originell. Doch das war zunächst überhaupt nicht der Ansatz. Mir ging es im Kern darum, eine Art Zeitdokument zu erstellen. Ich entwickelte einen Leitfaden für meine Beobachtungen. Da kam in mir wieder die alte Sozialforscherin hoch.

Da ich selbst intensive Podcast-Nutzerin bin, hatte ich mich schon häufiger mit dem Gedanken getragen, ein eigenes Format ins Leben zu rufen. So flossen diese Ideen quasi ineinander.

Die größte Herausforderung bestand darin, dass ich meinen Entschluss am 13. März fasste und am 16. März on air gehen wollte, mit dem Tag X der Schulschließungen.

Bis dahin hatte ich weder eine Idee, wie man einen Podcast aufsetzt, noch ein Stück Hardware. Zum Glück hatte ich den erfahrenen Audiografen Ingo Stoll an meiner Seite, der mir über das Wochenende richtig rum aufs Pferd half. 

Was ist deine Definition von »Good Work«?

Mit GOOD WORK möchte ich bewusst einen Kontrapunkt zu NEW WORK setzen, zumindest zu dem, wie es zwischenzeitlich häufig interpretiert wird. „Neu“ ist für mich kein Selbstzweck. Denn:

Neu ist nicht gleich gut.

Und Gutes muss nicht zwingend neu sein. Doch manches GUT braucht ein NEU, damit wir unsere Zusammenarbeit und unsere Arbeitsergebnisse bestmöglich gestalten können.

Das ist für mich das Credo von GOOD WORK: Jede Organisation, jede Arbeit hat es verdient, noch ein Stückchen besser zu werden. So gesehen lautet meine Botschaft: GOOD ist das neue NEW. Auch wenn ich – gerade dieser Tage – ehrfurchtsvoll an die Visionen von Frithjof Bergmann denke.

Zwischen März und September 2020 hast du 100 Personen interviewt und damit eine New Work-Corona-Chronik geschaffen. Wie hast du dieses enorme Pensum organisiert?

Ich würde jetzt gerne irgendeine intelligente Methode oder einen Prozess aus dem Hut zaubern, die ich wirkungsvoll angewandt habe. Die Wahrheit ist: Ich habe in den ersten Wochen und Monaten nonstop gearbeitet, regelrecht gebrannt für das Thema. Damit ging ich meinem Umfeld auch manches Mal ganz schön auf die Nerven.

Anfangs hatte ich tolle Unterstützung von Kollegen, die ein paar Interviews mit übernommen haben. Das hat sehr geholfen. Schließlich haben wir anfangs jeden Tag Interviews geführt und veröffentlicht. Das musste alles vorbereitet, produziert und veröffentlicht werden. Eine Art Primitiv-Kanban Board und eine Google-Doc Liste mit (potentiellen) Gesprächspartner*innen hat mir die Arbeit etwas erleichtert.

Nach welchen Kriterien wählst du deine Gäste aus?

Für die ersten Interviews habe ich mich zunächst in meinem eigenen Netzwerk umgeschaut. Es war mir wichtig, möglichst verschiedene Perspektiven einzufangen, viele Branchen und Arbeitsrealitäten abzubilden.

Ich wollte ausdrücklich nicht nur mit Menschen sprechen, die sich beruflich mit Veränderung beschäftigen.

Mit Fortschreiten der Corona-Chroniken wuchs das Interesse an dem Format, auch bei Menschen, die einen größeren Bekanntheitsgrad und Wirkungsbereich haben. So hatte ich die Chance, nicht nur persönliche Erlebnisse zu dokumentieren, sondern auch ausgewiesene Expert*innen zu interviewen. 

Hast du im Verlauf der Pandemie unterschiedliche Phasen in der Stimmung und Motivation deiner Podcast-Gäste wahrgenommen?

Die erste Analyse, die ich aus den Corona-Chroniken angefertigt habe, ist das Phasen-Modell. Es ist angelehnt – wen wundert’s – an die Kübler-Ross-Kurven der Veränderung und beschreibt einen ähnlichen Emotionsverlauf.

Die erste Phase…

habe ich mit “Zeit der Helden – rackern und runterkommen” überschrieben. Sie war von großem Enthusiasmus, Solidarität und Pragmatismus geprägt. Ganz typisch für diese Kriegsausbruchs-ähnliche Stimmung war die Entschlossenheit, die sich u. a. in der inflationären Verwendung von Hashtags und Parolen ausdrückte. Diese Phase hielt maximal vier Wochen an, dann folgte die “Zeit der Ernüchterung – zweifeln und zanken”.

In der zweiten Phase…

traten plötzlich Partikularinteressen auf, und den Menschen wurde bewusst: Das ist kein Sprint, sondern vermutlich ein zermürbender Marathon bei mäßiger Ausdauer. Die Gesprächspartner*innen fragten sich oft laut: “Wann wird es endlich wieder “normal”? Oder: “Wird es überhaupt noch mal so wie es war? Und wenn nicht: Wie sieht es aus, dieses “New Normal?”

Die dritte Phase…

– und in der stecken einige Unternehmen und Menschen immer noch (oder schon wieder) – habe ich die “Zeit der Schwebe – abstumpfen und ausbalancieren” betitelt. Das Hin- und Herpendeln zwischen Vertrauten und Unbekannten, das zögerliche Abwarten auf einen richtungsweisenden Impuls von außen, das abgeklärte “Zur-Kenntnisnehmen”, was plötzlich als normal gilt – das sind typische Symptome dieser Phase, aus der wir hoffentlich bald in die vierte Phase eintreten.

Diese Phase vierte Phase…

ist überschrieben mit “Zeit der Neugestaltung – lösen und lernen”. Von manchen Dingen – lieb und teuer – müssen wir uns tatsächlich lösen und bereit sein, in unser Lernen zu investieren. Dann können wir Zukunft vertrauensvoll gestalten.

Was denkst du denn, welche Dinge das sind?

Das sind vor allem ein paar eigene Wahrheiten und Glaubenssätze – im Guten wie im Schlechten – von denen wir uns verabschieden müssen oder sollten. Beispiele sind Glaubenssätze wie „Homeoffice funktioniert bei uns nicht“, „Beziehungen lassen sich digital nicht auf/ausbauen“ oder „Kreative Zusammenarbeit funktioniert nicht im digitalen Raum“ and so on.

Die größte Anstrengung – aus meiner Beobachtung – dieses gravierenden Veränderungsprozesses war und ist es, sich neue Strukturen zu etablieren.

Und das hat mit den tausend neuen Entscheidungen und damit dem Abschied von lieb gewonnenen Gewohnheiten und Überzeugungen zu tun. Das gilt für die Arbeitswelt ebenso wie tief in die Alltagsstrukturen der Menschen. Aber das Gute ist: Wenn alte Wahrheiten sich als nicht länger tragfähig erweisen, ich mich also lösen kann, ist der Raum frei für neue Lernerfahrungen. Es ist immer der Dreiklang aus Erfahrung – Reflexion – Lernen.

Ist dir eine Folge oder ein*e Gesprächspartner*in besonders in Erinnerung geblieben?

Da könnte ich ganz viele aufzählen, denn die Gespräche waren zu einem Großteil sehr persönlich und dicht. Es gab ein paar “vanity moments”, also Gespräche mit Menschen, die mir vor Corona “unerreichbar” erschienen. So war die 100. Folge und damit das Ende der Corona-Chroniken mit dem Zukunftsforscher Matthias Horx ein großes Highlight. Sein Gespräch beendete er mit dem Ausspruch: “Wir sehen uns in der Zukunft”. Besser hätte ich es nicht skripten können.

Besonders beglückt mich aber, dass sich mit einigen meiner Gesprächspartner*innen zwischenzeitlich eine enge kollegiale Verbundenheit ergeben hat, wie zum Beispiel mit Ines Imdahl, Stephan Grabmeier und Wolf Lotter, um nur einige zu nennen.

Was hast du aus den vielen Gesprächen als Learning mitgenommen?

Die Learnings trage ich gerade (immer noch) zusammen. Ich habe sie in 5 sogenannte GOOD WORK Prinzipien verdichtet und diese wiederum ausformuliert. Diese Prinzipien können uns in Phasen gravierender Veränderung hilfreich zur Seite stehen und haben somit universellen Charakter, stärker als es vielleicht die Überschrift “Erkenntnis aus Corona” erwarten ließe.

Die 5 GOOD WORK Prinzipien lauten:

  • Gelungene Beziehungsgestaltung – die 5 Vs der Beziehungsgestaltung im Innen und Außen
  • Flexible Strukturen – Zeit, Raum und Kontext neu gestalten
  • Digitale Balance – Integral statt hybrid 
  • Denken in Möglichkeiten – Fokussiert Chancen erkennen statt Tunneldenken
  • Gelebte Agilität – Prinzipien statt Regeln

Im Moment fasziniert mich die Theorie rund um “Weak ties und strong ties” – also die Netzwerktheorie – besonders stark. Offenbar haben wir gerade unsere “schwachen” Verbindungen in der Corona-Krise stark vernachlässigt. Und das hat dramatische Folgen, nicht nur für das Thema Beziehungsgestaltung.

Auf mich selbst bezogen hat sich meine innere Wahrheit wieder einmal bestätigt: Phasen größter Herausforderung sind Wachstumsfugen der persönlichen Reifung und Entwicklung.

Gibt es ein anvisiertes Ende des Podcast, vielleicht als symbolisches Ende der Pandemie?

Die Folge 100 war ein wichtiger, symbolischer Schlusspunkt der Corona-Chroniken. Inzwischen führe ich im Podcast GOOD WORK themenzentrierte Gespräche mit Expert*innen – entlang der 5 GOOD WORK Prinzipien.

Die Serie heisst GOOD WORK FEATURE und ist deutlich in Richtung Zukunft gerichtet. Das persönliche Erleben tritt etwas in den Hintergrund, dafür versuche ich, die einzelnen inhaltlichen Layer in der Tiefe zu beleuchten. Wie es nach dieser Serie weitergeht? Ich habe da so eine Idee…

Wir sind gespannt! Und zum Schluss die Frage: Eint in Bezug auf das Thema Good Work eine Eigenschaft/Einstellung alle deine Gäste?

Alle meine Gesprächspartner*innen sind auf der Suche nach GOOD WORK. Sie eint, dass sie ihre eigene Arbeitsrealität und die der Menschen um sie herum besser – oder sogar bestmöglich – gestalten möchten. Bei aller Veränderungserschöpfung sind sie bereit und fähig, die Zukunft nicht als absolut zu sehen, sondern als etwas zu begreifen, das in ihrer Wirkmacht liegt.

Ein guter Schlussgedanke, vielen Dank für das schöne Gespräch!


Bild von Jule jankowskiJule Jankowski war 15 Jahre lang bei der Lufthansa AG, bevor sie 2018 die Beratungsgesellschaft HUMIQ gründete. Sie ist Moderatorin und Trainerin für Veränderung, außerdem ein „freies Radikal“. Im März 2020 startete sie „Good Work – die Lernchronik für gute Zusammenarbeit und zukunftsfähige Arbeitskultur in Podcastform“.

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