»die bildungsenthusiast*innen«
Wo sind sie? Die mit den tollen Ideen? Die Praktiker*innen, die wissen, wie Bildung im 21. Jahrhundert geht? Und die, die auch mitmachen möchten? Anna Papadopoulos bringt sie auf edusiia.com alle zusammen.
Liebe Anna, im Juli dieses Jahres hast du edusiia, das „interdisziplinäre Netzwerk für Bildungsenthusiast*innen“ mitbegründet. Ist dieses Projekt im Rahmen der Corona-Krise und der erschwerten Bildungsbedingungen in vielen Familien entstanden?
Das Konzept für edusiia stand bereits Ende 2019 – geboren aus der Erkenntnis, dass der Bildungsbereich für Kinder und Jugendliche unglaublich viele tolle Einzelinitiativen und motivierte Akteur*innen aufweist, aber noch nicht sehr gut vernetzt ist. Das wollten und wollen wir ändern. Corona hat auf jeden Fall dazu beigetragen, das Projekt noch intensiver zu verfolgen.
Ein zusätzlicher Punkt, der dem Thema noch mehr Dringlichkeit gegeben hat, ist meine Erfahrung als Innovationsberaterin. Wenn ich Innovationsprozesse begleite, geht es viel um die Begeisterung des Entdeckens, des Lernens und des Kollaborierens. Nicht zuletzt durch meine beiden Kinder wurde mir deutlich: Kinder haben viele dieser Fähigkeiten von Natur aus. Als Innovationsbegleiterin unterstütze ich Erwachsene dabei, diese Fähigkeiten wieder zu entdecken. Warum also nicht gleich dafür sorgen, dass sie gar nicht erst verloren gehen?
Diesen Prozess möchte edusiia unterstützen. Unser Ziel ist es, durch interdisziplinäre Kollaboration die positive Wirkung aller Bildungsenthusiast*innen in ihrem Rahmen zu erhöhen und somit Bildung insgesamt besser gestalten zu können. Bildungsenthusiast*innen sind all diejenigen, die sich begeistert und aktiv mit Bildung für Kinder und Jugendliche auseinandersetzen.
Kannst du uns kurz erklären, wie die Plattform funktioniert?
Auf unserer lernenden Plattform können Nutzer*innen eigene Bildungs-Herausforderungen und -Lösungen vorstellen, mit anderen Bildungsenthusiast*innen diskutieren, neue Ideen, Inspirationen und Events teilen und in Gruppen an konkreten Themen arbeiten – komplett kostenlos. Bei uns versammeln sich auch immer mehr existierende Communities von Veranstaltern, Fortbildern und Verbänden wie z. B. die des “Schule ist Leben”-Camps. Jedes Mitglied kann ein eigenes Profil gestalten und erhält einen Überblick über die neuesten Beiträge in einem Feed. Unsere Plattform funktioniert im Kern wie Soziale Netzwerke – wer also schon einmal zum Beispiel Facebook verwendet hat, findet sich schnell zurecht.
Unsere langfristige Vision ist es, alle Bildungsenthusiast*innen bei edusiia zu versammeln und in den kontinuierlichen Austausch zu bringen – zuerst aus dem deutschsprachigen Raum und später auch international.
Durch die Diskussionen in dem Netzwerk werden wir relevante Themen, Herausforderungen und Problemstellungen destillieren können, die Angebote und politische Diskussionen rund um Bildung für Kinder und Jugendliche mit prägen können. Wir möchten einen Marktplatz schaffen, der es Bildungsenthusiast*innen ermöglicht, Produkte und Dienstleistungen wie Weiterbildungsformate nach ihren Bedürfnissen zu sondieren.
Wir denken außerdem über eine Jobbörse nach, die es Quereinsteiger*innen und Aussteiger*innen ermöglicht, schnell in anderen Bildungsfunktionen Fuß zu fassen. Wir wollen edusiia über die nächsten Monate und Jahre deutlich weiterentwickeln – unser Kern wird aber immer bleiben: Wir wollen mit möglichst vielen Menschen gemeinsam Bildung für Kinder und Jugendliche besser machen.
Was glaubst du: Mit welcher Motivation bringen sich Menschen auf edusiia ein?
Die Mitglieder von edusiia haben verschiedene Beweggründe sich zu beteiligen: Es gibt viele, die Anschluss finden möchten an ähnlich motivierte Bildungsakteur*innen wie sie selbst – um ihre eigene Motivation beizubehalten, zu lernen, aber auch ihre eigenen Erfahrungen zu teilen. Es gibt Mitglieder, die gerade neue Bildungskonzepte entwickeln und Feedback oder Projektpartner*innen suchen. Die meisten eint der Wunsch nach einer modernisierten Bildungslandschaft, von der sie glauben, dass man sie nur gemeinsam wirkungsvoll gestalten kann.
Strafe mich Lügen, aber mein Eindruck ist: Es gibt ganz viele tolle Projekte und Initiativen, um die deutsche Bildungs- und Schullandschaft aufzubrechen und ins 21. Jahrhundert zu befördern. Und es gibt namhafte Studien, die den Ruf nach Veränderung bestärken. Aber die tollen Ideen erreichen nur Orte des Lernens in der Bubble, dort, wo genau diese motivierten Menschen leben, die sich auch über edusiia engagieren – aber bis in die Vororte und Kleinstädte schaffen es wenige Ideen. Sehe ich das falsch?
Ich denke, dass es auch in den Vororten und Kleinstädten inspirierende Initiativen und Bildungsenthusiast*innen gibt, sie hatten bisher einfach nur weniger Sichtbarkeit. Es fehlte ihnen die Möglichkeit, schnell Anschluss an Gleichgesinnte zu finden und ihre Netzwerke auszubauen. In Berlin beispielsweise gab es – vor Corona – am laufenden Band Veranstaltungen, Meetups und Netzwerktreffen für Aktive im Bildungsbereich. Das war an abgelegenen Orten nicht der Fall.
Die Situation, in der wir uns durch Corona viel mehr befinden, eröffnet die Möglichkeit, dass viel mehr Menschen die digitale Welt für sich entdecken. Unsere Hoffnung ist, dass zumindest die lokalen Bubbles ein bisschen aufweichen. Wir glauben zudem, dass Veränderungen in der Bildung oft durch die besonders engagierten Leute – also Bildungsenthusiast:innen – angestoßen werden und nach und nach immer mehr Menschen erreichen.
Anschließend zur letzten Frage: Siehst du da vor dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Monate den politischen Willen zu Veränderungen im Bildungssystem?
Mein Gefühl ist, dass man sich auf politischer Seite immer mehr bemüht, Verständnis dafür zu entwickeln, was tatsächliche Innovationstreiber und wirkungsvolle Hebel für Veränderung sind. Ein tolles Zeichen dafür fand ich auch die politische Unterstützung des #wirfuerschule-Hackathons – währenddessen und auch im Nachgang.
Allerdings stelle ich auch immer wieder fest, dass weiterhin häufig nicht ganzheitlich gedacht wird. Dass es eben nicht nur ausreicht, spannende EdTech-Lösungen zu unterstützen, die den digitalen Wandel vorantreiben wollen, sondern dass es genauso kulturelle Initiativen braucht, die die Menschen im Bildungsbereich auf dieser Reise mitnehmen, sie als Individuen begleiten und unterstützen. Und: Die öffentliche und politische Diskussion dreht sich oft um Schulen, was wichtig ist – aber es gibt eben noch viele andere wichtige Organisationen und Personen, die im Bildungsprozess eine Rolle spielen und die wir nicht vernachlässigen sollten. Ich würde mich sehr freuen, auch in diese Richtung mehr Schritte zu sehen!
Fehlende finanzielle Mittel, fehlende Fortbildungen der Lehrer*innen zu Themen wie der Digitalisierung oder fehlende Zeit aller Beteiligten, um sich mit den Bildungsherausforderungen überhaupt auseinanderzusetzen: Wo hakt es deiner Meinung nach am stärksten?
Mir scheint es, als sei es eine Kombination aus vieler Faktoren. Unser aktuelles Bildungssystem scheint veränderungsfreudiges Denken nicht zu belohnen. Die Akteur*innen darin werden in ihrer Antriebs- und Innovationskraft wenig gefördert und unterstützt. Der zeitliche, geistige und physische Raum Neues zu gestalten existiert oft nicht. Diejenigen, die es trotzdem wagen, sehen sich starker Gegenwehr ausgesetzt und müssen sehr standhaft sein, um etwas von innen heraus zu bewirken. Das ist wiederum vielen zu anstrengend und zeitaufwendig, deswegen lassen sie es dann doch sein. Ein schrecklicher Kreislauf, den es zu unterbrechen gilt!
Welche Herausforderungen werden auf der Plattform am häufigsten besprochen?
Momentan geht es viel um Hilfestellungen, die die Bildungsenthusiast*innen im Alltag benötigen: Welche Schulen sind Vorreiter darin, digitalen Wandel voranzutreiben? Wie nutzt ihr den Herbst für Kindergartenkinder? Wie stärkt ihr Inklusion von Flüchtlingskindern? Es wird auch nach Meinungen zu bestimmten Tools, Standpunkten und Herangehensweisen gefragt. Wir freuen uns, dass dadurch ein reger Austausch entsteht, bei dem sich die Mitglieder gegenseitig inspirieren und auf neue Ansätze stoßen.
Meine These ist ja, dass gutes Arbeiten voraussetzt, dass wir gutes Lernen kennen gelernt haben. Was ist aus deiner Erfahrung als Mutter, Enfant Terrible und Bildungsenthusiastin die Grundlage für gutes Lernen?
Eine schöne Frage! Meiner Meinung nach ist es die Kombination aus einem reichhaltigen Angebot und der Freiheit, seinen eigenen Weg und eigenen Zugang zu finden. Ich muss wissen, wie ich entdecken kann, was es zu wissen gibt und andererseits meine persönlichen Mittel und Wege finden, mir dieses Wissen aneignen zu können und zu wollen. Beides wird leichter durch eine Begleitung, die mir dabei hilft, Impulse zu erhalten, Wahrgenommenes zu reflektieren, zu verarbeiten, und es mir tatsächlich zu eigen zu machen.
Danke!
Es war mir eine Freude! Danke dir!
Anna bezeichnet sich als kreative Interventionistin. Sie ist Co-Gründerin von edusiia und Welana, einem Sozialunternehmen, das handgewebte Fair Trade Produkte aus Äthiopien vertreibt.
Außerdem leitet sie das Berliner Team der Innovationsbegleiter von Mandalah und ist – last but not least! – leidenschaftliche Mama von Jasper und Nele.