»die unendliche ausbildung«
Bei manchen Weiterbildungen lernt man einfach fachlich dazu, bei anderen geschieht noch etwas anderes, das sich vorher so gar nicht planen oder vielleicht auch nicht vorhersagen lässt: eine innere Transformation.
Hier sprechen wir, die Teilnehmenden der Les Enfants Terribles Ausbildungsrunde zum »New Work Professional«, der »zeitenreise«, die von Frühjahr 2019 bis September 2020 stattfand, über unsere Erfahrungen in der Ausbildung.
Und: unsere Gruppe hat eine besondere Geschichte. Denn über die im Curriculum hinaus vorgesehenen fünf Module haben wir bislang schon sieben Module erlebt, von denen zwei eigenverantwortlich organisiert waren – und weitere sind geplant. Unter anderem arbeiten wir für uns an einem „New Work Methodenkoffer“.
In diesem Gespräch teilen wir mit euch, wie es dazu kam, was uns bewegt, was uns antreibt und wohin unsere ganz persönliche (Zeiten-)Reise als nächstes geht. „Wir“ das sind übrigens: Annkathrin, Bea, Christi, Christian, David, Dianah, Doreen, Julie, Marlies, Roberto, Sebastian und Sonja.
Was waren für die Gruppe wichtige Erkenntnisse auf dem Weg der Ausbildung?
Sonja: Eine kollektive Erkenntnis war aus meiner Sicht, dass New Work vor allem mit der eigenen Haltung, dem eigenen Menschen- und Weltbild zu tun hat und nicht in erster Linie mit Methoden (wobei einige davon schon sehr cool sind und wir wollen sie nicht mehr missen).
Eine weitere Erkenntnis kam aus dem Modul, in dem es um Kommunikation ging: Jede*r ist selbst in der Verantwortung für seine Gefühle und die daraus resultierenden Reaktionen (also nicht: „du machst mich sauer“, sondern „ich rege mich auf,…“). Der eigene Körper ist dabei auch ein wichtiger Seismograph für unerfüllte oder voll erfüllte Bedürfnisse.
Wie hat sich die Gruppendynamik im Laufe der Ausbildung entwickelt? Welche Phasen habt ihr durchlaufen?
Sebastian: Wir haben uns unglaublich schnell als Gruppe gefunden. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass wir ‚like minded people‘ sind, die sich mit dem Thema New Work auseinandergesetzt haben. Das hängt aber auch ganz entscheidend an der Kompetenz von Marion und Gerhild, Menschen zusammenzubringen und ihnen einen sicheren Raum zu schaffen, um sich dort gut einbringen zu können.
Natürlich gibt es unterschiedliche Charaktere in der Gruppe: eher Stillere, eher Extrovertierte. Wir haben ganz schnell gelernt, aufeinander zu achten und uns allen den Raum zu geben, den jede*r einzelne*r braucht und der für die Gruppe insgesamt hilfreich ist. Und mit dieser Grundkompetenz sind wir als Gruppe seitdem unterwegs. Wir entwickeln uns von einer Gruppe von Lernenden zu einem mittlerweile stabil selbstorganisierten Netzwerk von New Work Professionals. Wir tauschen uns aus, entwickeln gemeinsam Themen, arbeiten zusammen und haben daneben noch ganz viel Raum für nette Dinge (denn auch das ist New Work).
Nimmst du die Gruppe eher heterogen oder homogen wahr?
Christian: Für mich ist diese Gruppe herrlich heterogen homogen. Es ist genau das, was wir brauchen: unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven, die sich gegenseitig maximal respektieren und akzeptieren. Das ist der Grund, warum wir als GEMEINSCHAFT so „gute“ Ergebnisse erzielen und jeder weiß, dass er/sie wichtig ist. Ich nenne es das GLÜCKSBÄRCHIE FRAMEWORK.
Wie kam‘s eigentlich zu eurem ersten selbstorganisierten Modul 4a?
Sebastian: Während unserer Lernreise entstand der Wunsch, das Gelernte für uns selbst nochmal zu erden und für uns zu kontextualisieren: Welche Methoden sind wichtig in unserem Arbeitsalltag? Was braucht es noch? Und deshalb haben wir uns unser eigenes Modul organisiert. Und dieses Modul in Eigenregie war letztlich ein wichtiger Moment für unser heutiges Verständnis als selbstorganisierte Gemeinschaft.
Was waren zentrale „Momente der Wahrheit“ für euch ganz persönlich?
Sonja: Sehr bewegend war für mich im zweiten Modul die Reaktion der Gruppe auf die Irritation durch einen der Guest Speaker. Der hatte mich ein wenig „auf dem Kieker“, womit ich mich sehr unwohl gefühlt habe. Dann zu spüren, wie die anderen sich um mich kümmerten und Partei ergriffen – das fand ich erstaunlich vor dem Hintergrund, dass wir einander da noch nicht so gut kannten.
Ein anderes Highlight für mich fand direkt im ersten Modul statt: Wir hatten eine Session mit Musik, in der mich die Energie, die in der Gruppe entstand, sehr gerührt hat. Noch heute, wenn ich das Lied, das wir damals gemeinsam gelernt haben, höre oder vor mich hin summe, bekomme ich Gänsehaut.
Ein sehr wichtiger Punkt war auch unsere Orga-Session zum Modul 4a. Da sind wir durch ein Storming gegangen, aus dem wir als Gruppe gestärkt hervorgingen. Ab da hatte ich das Gefühl, es muss hier keiner mehr jemandem etwas beweisen – wir sind erwachsen und tragen Verantwortung für unser Handeln.
Was ist ‚the biggest change‘, den es durch die Ausbildung in deinem Mindset gibt?
Christian: Zu erkennen, dass es so wichtig und richtig ist, unwichtig wichtig zu sein. Die Kunst ist ja nicht, dass man eine Erkenntnis hat, sondern es wirklich auszuhalten, es zu TUN.
Und was ist der Methodenkoffer und warum arbeitet ihr daran?
Julie: Wir haben sehr viel erlebt und erfahren dürfen. Diese Erinnerung kann uns keiner mehr nehmen. Wir haben aber auch gemerkt, wie schnell wichtige/tiefe Inhalte im Anschluss wieder wegrutschen, nicht greifbar sind und leider nicht nachhallen. Wir wollen uns die wirklich(!) wichtigen Methoden und Prinzipien WACH halten und abrufbar machen.
Der ‚Methodenkoffer’ ist die geballte Sammlung der Prinzipien und Methoden, die wir auf unsere Lernreise kennenlernen und erproben durften. Er ist wie eine Retro, die systematisch festgehalten und weiterentwickelt wird. Eine kuratierte Zusammenfassung von New Work-Prinzipien.
Die Entwicklung des Methodenkoffer ist selbst ein interessantes agiles Projekt, soll heißen: Wir wissen nicht, ob die Version, die wir uns bis jetzt überlegt haben, wirklich funktioniert. Manche von uns sind bereits frustriert und verlieren den Sinn und Zweck des Methodenkoffers (zu recht) aus den Augen. Andere von uns ‚glauben’ an die Sache und wollen weitermachen. Ich bin gespannt, wie es weitergeht… Schritt für Schritt!
Annkathrin: Der Methodenkoffer ist eine Schatzkiste. Hier sind alle bekannten, neu erfundenen, bemerkenswert einfachen und auch komplexen, aber auf jeden Fall wertvollen Methoden gesammelt worden, die uns in den letzten Monaten über den Weg gelaufen sind. Da wir nicht ständig alle Methoden abrufen und verwenden, ist diese Schatzkiste immens wertvoll. Die Frage ist, ob wir hier weiterhin Schätze sammeln werden, unsere Schätze weiterhin pflegen werden oder der Schatz irgendwann im Sand versinkt…
Was hat die Pandemie mit euer Ausbildungsgruppe gemacht?
Annkathrin: Wir wurden alle in ein remotes Leben geschubst und das hatte natürlich auch Auswirkungen auf die New Work Ausbildung. Obwohl ich mich persönlich sehr wohl fühle in einer digitalen und remoten Arbeitsumgebung, und wir als Gruppe tolle Lösungen gefunden haben mit der Situation umzugehen, bleibt bei mir die Frage offen, ob wir ohne Pandemie wohl noch enger zusammengerückt wären. Und ich glaube persönlich, darauf gibt es nicht wirklich eine Antwort. Ich sehe die Situation als einen riesigen Lernprozess, der uns zeigen wird, wieviel „hybrid“ oder „remote“ für jeden einzelnen gut ist.
Marlies: Der Ausbruch der Pandemie Mitte März 2020 in Deutschland hat uns jäh im Ausbildungsprozess ausgebremst. Das Abschlussmodul in Präsenz war nicht mehr möglich, wir als Gruppe waren plötzlich damit konfrontiert, die New Work Ausbildung nicht planmäßig abschließen zu können. Dank der schnellen Reaktion und kreativen Lösungen von Gerhild und Marion, konnten wir die Zeit des Nicht-in-echt-treffen-Könnens überbrücken und gut für uns nutzen. Wir taten das u. a. mit monatlichen Online-Meetings. Diese lange Phase hat viel von dem „Miteinander spielen” ausgelöst, das uns als Gruppe heute ausmacht. Diese Energie trug uns zum Modul 5, 6, 7, zum Probenraum* und ganz sicherlich noch weit darüber hinaus.
*Im virtuellen Probenraum der Gruppe kann alle sechs Wochen eine Person aus der Gruppe ein konkretes Anliegen einbringen, zu dem sie gern eine kollegiale Beratung erhalten oder einfach etwas ausprobieren möchte.
Wie hat sich das Klima in der Gruppe nach dem offiziellen Abschluss entwickelt? Seid ihr anders miteinander umgegangen als während der Ausbildung?
Doreen: Der enge Verbund in unserer Ausbildungsgruppe hatte auch nach Abschluss der New Work Ausbildung Bestand. Es ist uns allen sichtlich schwer gefallen, „loszulassen“ und zunächst keine festen gemeinsamen Termine, ob live oder in remote, auf Sichtweite zu haben. Es sind Freundschaften entstanden, die individuell weiter gepflegt worden sind.
Das Buddy-Konzept aus der Ausbildung hat sich einfach organisch weiterentwickelt. Wir kennen einander mittlerweile so gut, dass wir für bestimmte Themen oder Anlässe unterschiedlichste Kontaktpunkte aus der Ausbildungsgruppe zur Auswahl haben.
„Es sind auch sehr erfolgreiche neue berufliche Setups und Gemeinschaftsprojekte aus der New Work Ausbildung hervorgegangen.“
Das alles war möglich, weil in der Ausbildung eine große psychologische Sicherheit und eine Verbundenheit entstanden ist, die uns heute noch trägt und noch weiter tragen wird.
Welche Erfahrungen waren die eindrucksvollsten mit Blick auf das Thema „Selbstorganisation“? Habt ihr Selbstorganisation vorher schon gekonnt, könnt ihr es jetzt?
David: Im dritten Modul der New Work Ausbildung, es muss im Herbst 2019 gewesen sein, gaben uns Marion und Gerhild die Gelegenheit, ohne ihr Zutun gemeinsam in der Gruppe ein Thema zu erarbeiten. Unser Thema war: „Was wollen wir zusammen in unserem selbstorganisierten Modul 4a in Marburg machen?“.
Am Ende eines intensiven Tages bekamen wir dann eine Stunde Zeit, um uns zu dieser Frage auszutoben. Jeder einzelne machte dann auch nahezu genau das – „toben“. Nicht umsonst ging dieser einstündige Arbeits-Slot danach auch als „Chaos-Session“ in das Gedächtnis der Gruppe ein.
Warum “Chaos” und was lief denn da so schief?
David: Für mich war einer der Hauptgründe, dass wir alle so voller Energie waren, dass wir alles Gelernte sofort in diese eine Session stecken wollten. Jeder gab New Work-Vollgas, wollte es besonders gut machen, aber wir haben nicht wirklich aufeinander gehört. Somit kamen kaum sinnvolle Ergebnisse raus – was dann am Ende der Zeit auch allen klar wurde.
Ein großes „Learning“ war die Retro direkt im Anschluss, in der wir uns die Fragen stellten, warum das eigentlich alles so chaotisch gelaufen war, wer die Moderation hatte und nach welcher „Methode“ oder Art und Weise wir da vorgegangen sind.
Daraufhin haben wir die Session dann nochmal ganz von vorne durchgeführt und diesmal mit mehr Struktur, mit mehr Plan, mit mehr Demut, mit mehr Zurückhaltung.
Und siehe da, wir hatten dazugelernt und kamen zu Ergebnissen. Aus dieser Erfahrung habe ich die Erkenntnis mitgenommen, dass Selbstorganisation nicht vom Himmel fällt, sondern dass man sie sich erarbeiten muss. Inzwischen würde ich behaupten, dass wir – gerade als Gruppe – das inzwischen richtig gut können. Nicht umsonst haben wir schon mehrere weitere zusätzliche Module als Gruppe selbst organisiert und haben weitere Formate (wie unseren Probenraum) ins Leben gerufen, die auch den Zusammenhalt in der Gruppe am Leben erhalten.
Habt ihr New Work nun „ausgelernt“? Was hast du als Nächstes vor?
Sonja: Ich für meinen Teil finde, dass ich New Work auf keinen Fall ausgelernt habe; Leute die ausgelernt haben, sind mir auch ein bisschen suspekt. Ich mache gerade eine nächste Ausbildung im Bereich Teamcoaching und Facilitation. Durch die New Work Ausbildung #zeitenreise habe ich herausgefunden, was ich wirklich, wirklich will:
„Ich will die Arbeitswelt ein klein wenig menschlicher, kreativer und nachhaltiger hinterlassen als ich sie vorgefunden habe.“
Meine Aufgabe sehe ich darin, Räume zu kreieren, in denen Veränderung auf Team- und persönlicher Ebene passieren kann.
Bea: New Work… kann man das lernen? Also kann man es überhaupt ‚ausgelernt’ haben? So, wie wir uns in der #zeitenreise mit dem Thema auseinandergesetzt haben, ist New Work für mich nichts, was man mit Methoden oder Organisationsformen (allein) beschreiben kann. Es gibt sicher hilfreiche Vorbilder oder Tools, um sich dem Thema zu nähern, ja vielleicht sogar um sich dem Thema zu stellen.
„Aber für mich ist New Work eher eine Haltung, eine Haltung zu Menschen, zu Arbeit“
, zum Zusammenarbeiten und zu Inhalten, eine Haltung zum selbstverantwortlichen Leben, zu Selbstorganisation und Wertschätzung des/der Anderen.“
Insofern… nix ausgelernt! Es geht weiter, immer weiter auf der Zeitenreise: Selbstreflexion, Austausch mit Anderen, Lernen und Verändern … hin zum guten Arbeiten.
Was wollt ihr als Gruppe in der Welt verändern?
Bea: Wir wollen DIE Welt verändern! Gemeinsam entwickeln wir neue Ideen, wie wir unsere New Work-Haltung in die Welt tragen können. Wir leben, was wir haben wollen.
Christian: Wir verändern die Welt schon jetzt, mit unserem TUN und zwar jeder einzelne von uns. Die Welt ist die Summe der einzelnen Atome auf ihr, also verändern wir schon etwas, wenn wir nur zwei Atome verschieben. Das ist mein Learning: Die kleinen Dinge verändern wird dazu führen, dass das Große nicht mehr so ist wie vorher.
Derzeit plant die Gruppe übrigens schon ihr nächstes selbstorganisiertes Modul, das im Herbst 2021 in Marburg (und zur Not eben remote) stattfinden soll. Der Slack-Channel und das Probenraum-Format helfen, dass wir in Kontakt bleiben und ganz bewusst untereinander als Inspirationsquelle, zur Reflexion und Unterstützung beim Dazulernen. Sämtliche Formate sind selbstorganisiert, dabei wechseln die Führung und die Verantwortung für Dinge wie Moderation und Organisation.