»Digitale Ethik«
Am 16. Juni 2020 wurde die sogenannte Corona-Warn-App online gestellt. Wer sie installiert und aktiviert, bekommt eine Information, wenn sich eine mit COVID-19 infizierte Person in der Nähe befindet – vorausgesetzt die andere Person hat auch die App installiert und eine Ansteckung über die App gemeldet. Bei Datenschutz-Expert*innen kommt die App gut weg, Kritiker*innen der Corona-Warn-App zweifeln trotzdem die Sicherheit ihrer persönlichen Daten sowie die damit einhergehenden Ziele der Regierung – Stichwort Verschwörungstheorien – an. Gleichzeitig schenken wir sozialen Netzwerken, Online-Shops, Apps und vielen digitalen Technologien jeden Tag unsere Daten aus weit weniger wichtigen Gründen als der Eindämmung einer Pandemie.
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Peter Petersen auf Facebook:
„Ich lasse mich doch nicht verarschen!!1!
Diese Corona-App werde ich niemals installieren!
ICH LASSE MICH NICHT AUSSPIONIERN!!“Facebook so:
Oh, Peter Petersen,
35-40Jahre alt,
männlich,
wohnt in „Sydney“,
loggt sich normalerweise in…— Der Graue (@DerGraue2) June 16, 2020
Durch Cookies, Tracking und eigene Posts auf Instagram, Facebook oder Whatsapp geben wir unsere Daten freiwillig ab. Bei einer App wie der Corona-Warn-App, die theoretisch Menschenleben rettet, hört es jedoch bei vielen auf – obwohl doch hier ein ethisch vertretbarer Grund vorliegt.
Es soll hier nicht die Frage beantwortet werden, was sich aus diesem Widerspruch schließen lässt. Vielmehr soll die Frage sein, wie wir digitale Technologien einsetzen und wo sowohl die Entwickler*innen, wie auch die Konsument*innen technische Machbarkeit und ethische Normen abwägen müssen.
Es ist möglich – aber ethisch nicht vertretbar
Ein beeindruckendes Beispiel ist die Meldung von IBM-CEO Arvind Krishna. Der kündigte Mitte Juni 2020 an, dass IBM in Zukunft keine Forschung und Entwicklung im Bereich der Gesichtserkennungssysteme und der dazugehörigen Analysesoftwares mehr durchführen wird und solche Systeme auch nicht mehr verkaufen wird. Grund: Immer mehr Studien zeigen, dass die KI teilweise rassistisch und sexistisch „handelt“. Krishna forderte die US-Kongressabgeordneten in diesem Zuge auch dazu auf, einen nationalen Diskurs darüber in Gang zu bringen, ob eine solche – im Zweifel unmoralische – Gesichtserkennung von der US-Polizei eingesetzt werden darf. Es ist in diesem Sinne die Spiegelung der Corona-App: Technologien können dazu eingesetzt werden, um ethische Ziele zu verfolgen. Technische Möglichkeiten können aber auch ungenutzt bleiben, um ethische Grenzen zu wahren.
Digitale Werte definieren
Müssen Technologien also bereits im frühen Entwicklungsstadium einer ethischen Bewertung unterzogen werden? Müssen alle Technologien, die theoretisch möglich sind, auch umgesetzt werden? Wie gehen Privatpersonen, Unternehmen und Entwickler*innen mit personenbezogenen Daten um?
Sarah Spiekermann hat zu diesen und anderen Fragen das Buch „Digitale Ethik“ geschrieben. Sie ist Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien, wo sie dem Institut für BWL und Wirtschaftsinformatik vorsteht, 2016 gründete sie das „Privacy and Sustainable Computing Lab“.
Ihre Karriere führte sie 1996 ins Silicon Valley, wo sie bei 3com zuschaute, wie das Internet entstand. Weltweite Kommunikation, endloses Wissen, plötzlich schien alles möglich. Jahre später arbeitet sie für Apenwaze Systems, einem der Pioniere für mobiles Internet. In dieser Phase bemerkt Sarah Spiekermann, das in der Entwicklung und der Betrachtungsweise der neuen Technologien etwas Entscheidendes fehlt:
„Die damalige Herangehensweise von Apenwaze an das Thema technischer Fortschritt ist für mich symptomatisch: Normale Manager sind wie Herdentiere. Sie reflektieren wenig über das Warum in den Dingen und entwickeln keine eigenen Wertprioritäten, an denen sie arbeiten.“
Es geht immer um ein Höher, Schneller und Weiter, das Ausstechen der Konkurrenz und um den Gewinn. Dabei sei eigentlich, so die Professorin, die Frage „Wozu oder warum?“ die wichtigste. „Sie orientiert sich an den Werten, die man mit neuen Technologien in die Welt setzen will. Wird die Welt schöner durch eine neue Technik? Einfacher? Gesünder, stärker oder wissender?“
In ihrem Buch plädiert sie für eine digitale Ethik, die unserem digitalen Leben und Handeln einen Rahmen setzt. Denn längst ist unsere digitale Präsenz zu einem wichtigen Teil unseres Lebens geworden. Während es aber sehr wohl eine ethischen Kodex für unser reales Handeln gibt, fehlt dieser Rahmen im Digitalen. Hier geben wir die Verantwortung, die Unternehmen, die Technologien auf den Markt bringen, bestimmen, wie es läuft.
Digitale Realität als Teil unseres gesellschaftlichen Lebens
Facebook ist an sich ein tolles Angebot – um es zu nutzen, geben wir aber unsere Daten ab und nehmen die unethische Verwendung dieser Daten in Kauf. Genauso funktioniert das Geschäft mit Größen wie Amazon, Google, Spiele-Apps, Online-Wetten oder anderen digitalen Errungenschaften. Spiekermann zeigt in „Digitale Ethik“, wie die Nutzung dieser Produkte ganz reale Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitsrealität von Menschen, unser Denken und Handeln hat.
„Es wird mit ökonomischer Rationalität argumentiert, wenn die Digitalisierung heute absichtlich so gestaltet ist, dass sie bei Nutzern zu Abhängigkeiten führt“, so Sarah Spiekermann. Und sie zeigt, wie wir uns als Einzelpersonen ein digitales Wertebewusstsein schaffen und was Politik, Gesellschaft und jeder (zukünftig*e) Entwickler*in da draußen durch- und bedenken müssen, um ethische Grundwerte auch in unserer erweiterten, digitalen Realität leben zu können.
Das Buch gibt es hier:
Sarah Spiekermann
Digitale Ethik. Ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert
Droemer HC, 2019
304 Seiten, 19,99 Euro
ISBN: 978-3-426-27736-2