»Digitale Permakultur«

  • 16.06.2021
  • von christiane kuerschner
Im dritten Teil unserer Permakultur-Serie zeigt Isa von Hobe, wie die Prinzipien der permakulturellen Gärtnerns auch beim Aufbau von nachhaltigen Websites hilfreich sind ...
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Du fragst dich bestimmt: Garten und Websites – wie passt das denn bitte zusammen? Das Ganze, also naja, zumindest die Konzeption und Pflege von Websites und Gärten haben mehr miteinander zu tun, als man so denkt. Das Web lässt sich als „digitale Landschaft” verstehen; mit dieser sollten wir ähnlich achtsam und nachhaltig umgehen wie mit der Offline-Welt. Die Permakultur-Prinzipien zeigen dafür hilfreiche Wege auf.

Permakultur: Was ist das überhaupt?

Wahrscheinlich ist dir Permakultur schon ein Begriff, aber vor allem im Sinne von Landwirtschaft und dir kommen sofort Bilder von tollen Kräuterbeeten in Schneckenform in den Sinn. 

Doch dahinter steckt noch so einiges mehr. Stell dir die Permakultur als eine Sammlung nachhaltiger Prinzipien vor. Diese entstehen daraus, dass man Ökosysteme und Kreisläufe der Natur beobachtet und integriert, um so den Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft entgegenzuwirken und der Vision einer zukunftsfähigen, cleveren und vor allem nachhaltigen Landwirtschaft näherzukommen. 

In der Permakultur geht es immer darum, den Sweet Spot zu finden – ein möglichst simples Design, das effektiv funktioniert, sich gleichzeitig gut auf die Umwelt auswirkt und das Miteinander fördert. 

Mittlerweile ist die Permakultur ein ganzheitliches Konzept, das sich schon längst über die Gärten dieser Welt hinaus entwickelt hat. Man findet ihre Prinzipien heute übertragen auf Gruppenstrukturen oder soziale Räume.

Permakultur lässt sich also auf viele Bereiche des Lebens anwenden – auch auf den digitalen: die Online-Welt. 

5 Permakultur-Gedanken für deinen Garten & deine Website

Doch nun etwas konkreter: Wie bringen wir Permakultur-Prinzipien mit Websites zusammen? Ich beziehe mich dabei auf die 12 Prinzipien der Permakultur von Holmgren, einem Mitbegründer des Permakulturkonzepts. Diese mögen erst mal recht banal klingen; wenn man sie jedoch weiterdenkt – und vor allem auch umsetzt, haben sie eine überraschende Wirksamkeit.

Zuerst geduldig beobachten …

Ganz nach dem ersten Permakultur-Prinzip „Observe and interact“ gilt: Nicht gleich in blinden Aktionismus verfallen, sondern erst einmal mit Ruhe betrachten und sich mit der Fragestellung vertraut zu machen.

„Observe and interact“

Im Garten lohnt es sich zum Beispiel, das Stück Land genau zu beobachten, das man bepflanzen will – idealerweise sogar ein ganzes Jahr, um alle Jahreszeiten mitzubekommen. Denn nur dann weißt du, was dein Garten zu welchem Zeitpunkt braucht, wo es die meiste Sonne gibt, was die fruchtbarsten Fleckchen deines Gartens sind, wann wo Schatten ist, aus welcher Richtung der stärkste Wind kommt … 

So lange müssen wir mit Websites zum Glück nicht warten. Doch auch hier gilt es, erstmal zu beobachten und zu verstehen, bevor du in Aktion trittst. Im Web kann „Beobachten” ganz Verschiedenes bedeuten. Wenn du noch gar keine Website hast, schaust du dich am besten erst einmal um, wo im Web sich deine Zielgruppe tummelt und welche Mitbewerber*innen – oder besser: zukünftigen Kooperationspartner*innen – es gibt. Somit kannst du auch deren Suchintention kennenlernen, was dir später bei der Suchmaschinenoptimierung hilft. 

Im nächsten Schritt kannst du mit deiner Zielgruppe in Kontakt treten, um sie besser kennenzulernen. Empathische Interaktion ist hier das Stichwort: Über Empathy Interviews kann man im Austausch mit realen Menschen viel über die Ziele und Bedürfnisse der Zielgruppe in Erfahrung bringen.

Startest du deine Prozesse mit einer ausführlichen Analyse als Grundlage, sparst du dir langfristig viel Arbeit, Zeit und vor allem Nerven

Also: Plane lieber am Anfang – und auch immer wieder zwischendurch – genug Zeit ein fürs Durchatmen, Zurücklehnen und Beobachten. Das ist viel effektiver, als diffus durch die Umsetzung zu stolpern. 

… dann das Big Picture entwickeln

Es geht an die Umsetzung! Aber wie geht man da am schlausten vor? Das 7. Prinzip aus der Permakultur: „Design from patterns to details” rät uns, zu Beginn der Umsetzung das große Ganze, das „Big Picture”, anzuschauen, anstatt sich sofort in kleine Details zu stürzen. Wir wollen ja den Wald vor lauter Bäumen nicht aus dem Blick verlieren…

Zurück zu deinem Garten: Du willst einen bunten Garten voll mit tollem Gewächs. Doch bevor du wild drauf los pflanzt, gilt es, erst einmal zu überlegen: Was möchte ich, was brauche ich? Mit welchen Pflanzen interagiere ich häufig, so dass sie nah am Haus stehen sollten? (kleiner Wink: Kräuter) Und letztendlich: Welchen Ertrag wünsche ich mir? 

„Design from patterns to details”

Nimm dir Zeit, mit Ruhe das „große Ganze” zu planen. In der Permakultur arbeitet man dafür mit dem Konzept der Zonierung. Dadurch werden Bereiche so aufgeteilt, dass alles, was häufig aufgesucht wird, besonders einfach zu erreichen ist. 

Und was heißt das jetzt konkret für deine Website? Denke user-zentriert, um herauszufinden, welche Informationen auf den ersten Blick verfügbar sein sollen. Bei der Konzeption deiner Startseite und der kompletten Informationsstruktur hilft es, sich das „Big Picture” immer wieder in Erinnerung zu rufen. 

So verlierst du das wichtigste Ziel deiner Website, das stets die größte Rolle spielt, nicht aus den Augen. Konkret spreche ich hier vom berühmt-berüchtigten „Konversionsziel”. Also, frage dich, welches konkrete und messbare Ziel du mit deiner Website verfolgst. Auf diesem Konversionsziel sollte deine Struktur und dein Design aufbauen.

Wichtiger Punkt: Auch wenn es „Big Picture” heißt, bedeutet das nicht, dass du alles in einem Schwung gleich ganz groß umsetzen musst. Ganz im Gegenteil, orientiere dich lieber an dem Grundsatz: „Big picture, small focus!“ (aus dem Buch „The One Thing“ von Gary Keller)

Hier setzt auch das Permakultur-Prinzip Nr. 6 an:

„Use small and slow solutions”.

Was bedeutet das im übertragenen Sinne? Denke immer zuerst darüber nach, welche Lösung mit dem wenigsten Aufwand den größten Impact hat. Indem du mit kleinen und durchdachten anstelle von schnellen und halbherzigen Lösungen arbeitest, machst du es dir viel einfacher. Das bedeutet natürlich auch, dass du dich erst mal auf die unabdingliche Kernfunktionen deiner Website konzentrierst. 

Und vergiss auf dem Weg nicht deine Vision! Diese gibt dir Verbindung zu deiner Zielgruppe und hält nicht nur dich, sondern auch deine Nutzer*innen langfristig motiviert.

Let’s diversify!

Das 10. Permakultur-Prinzip „Use and value diversity” vermittelt, dass Permakultur-Designs immer eine Vielfalt von verschiedenen Pflanzen, Tieren und Ansätzen beinhalten sollten. Durch diese Vielfalt wird das System stabiler und kann deinen Ertrag sichern. Denn sollte auch eine Pflanze in einem Jahr nicht ertragreich sein, kann das durch den Anbau anderer Pflanzen wettgemacht werden – im Gegensatz zur Monokultur. Außerdem sind verschiedene Arten zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr zur Ernte bereit und so weiter.

„Use and value diversity”

Das funktioniert auch mit Websites: Variierst du in deinen Einnahmequellen und baust deine Webpräsenz mithilfe verschiedener Angebote aus, können sich diese ergänzen und du kannst Synergieeffekte nutzen. 

Auch wenn es um die Traffic-Quelle deiner Website geht, lohnt es sich, nicht nur einen Ansatz zu verfolgen. Erhältst du nämlich deinen gesamten Traffic nur über Google, kann das schief gehen – das nächste Update kommt bestimmt, und da kann sich schnell mal was in deinem Ranking ändern. Setze auf Vielfalt und habe einen Plan B in der Tasche, um möglichst unabhängig zu bleiben. Helfen kann hierbei Community-Aufbau oder auch Suchmaschinenwerbung, die man im Falle von Leerlauf schalten kann. 

Und Ranking allein ist auch nicht alles: Vielleicht wirst du schon recht gut gefunden und deine Ladezeit ist auch tiptop, dafür springen dir die User ab, weil das Angebot nicht durchdacht oder die Usability schrecklich ist. 

Ganzheitlich denken ist also angesagt. Am besten holst du dir verschiedene Expert*innen ins Boot: Eine Coderin wird dir ein ganz anderes Feedback zu deiner Website geben als ein Designer – eben weil sie unterschiedliche Schwerpunkte haben. 

Und wenn du alle mitnehmen willst, vergiss nicht die Diversität auch in der Kommunikation nach außen: Gestalte deine Website mithilfe von diversen Stockfotos vielfältig, nutze möglichst inklusive Sprache und denke an Barrierefreiheit.

Reduce, Reuse, Recycle

Egal, ob im Garten, bei der Website oder im restlichen Leben: „Reduce, Reuse, Recycle!” Diese 3 Rs sollten überall mit dabei sein … okay, eigentlich sind es sogar 5 Rs: 

  • Refuse: Überflüssigem widerstehen
  • Reduce: „Weniger ist mehr” – einfach reduzieren
  • Reuse: Alles ist mehrmals nutzbar
  • Recycle: Altes aufwerten und neue Funktionen dafür finden
  • Rethink: Immer wieder neu und auch mal um die Ecke denken

Im Garten liegen diese Grundsätze super nahe, oder? Dort musst du keine Abfälle produzieren, sondern kannst einfach deinen Rasenschnitt als Mulch weiterverwenden. Und mit einer Wurmkiste kannst du aus Küchenabfällen wertvollen Humus machen (gibts übrigens auch als stylische Sitzgelegenheit für drinnen). 

Aber auch im Web kannst du mit den Rs effizient durchstarten. Denn baust du deine Website smart auf und verwendest deine Elemente kreativ weiter, kannst du unheimlich viel Zeit sparen. 

Planst du beispielsweise verschiedene Webprojekte mit ähnlichem Aufbau? Dann erarbeite dir doch ein gut durchdachtes Grundgerüst, das du dann zeitsparend und kosteneffizient für neue Projekte adaptiert verwenden kannst. 

Bespielst du einen Blog, Social-Media-Kanäle und zum Beispiel eine Werbekampagne? Dann verarbeite deinen Content doch einfach schlau weiter: Benutze deine hart erarbeiteten Inhalte nicht nur einmal, sondern recycle sie! Gibst du eine*r Kund*in Tipps zum einem Thema und steckst stundenlang Recherche rein? Mach einen Blogartikel draus, den du gleich für deine Social-Media-Netzwerke wiederverwenden kannst, um dann auch damit zu werben. Arbeitsaufwand: reduced! Inhalt: reused & recycled! 

Also, nimm dir den Raum, deine Arbeitsprozesse zu beobachten und analysieren. Denn dann kannst du mit kreativen Ideen nervige Abläufe optimieren und so Energie sparen – im wahrsten Sinne des Wortes!

Apropos Energie sparen: Wusstest du, dass deutsche Server Rechenzentren in Deutschland ähnlich viel Strom verbrauchen wie die gesamte Stadt Berlin? Und der Energieverbrauch durch das Internet wird in den nächsten Jahren ansteigen. Energieeffizienz spielt also auch im Web eine große Rolle. Den Fussabdruck deiner Website kannst du übrigens mit diesem tollen Website Carbon Calculator checken. 

Das Problem ist die Lösung

Wie Bill Mollison, ein Mitbegründer der Permakultur, so schön sagt:

„You don’t have a snail problem, you have a duck deficiency!”

In der Permakultur löst man vermeintliche Probleme, indem man mit Ruhe beobachtet und kreativ mit den Dingen arbeitet, die schon da sind. Man versucht stets, die Vorteile zu erkennen und Wege zu finden, wie man die Situation zum Vorteil nutzen kann.

Nun zurück zur Online-Welt: Immer wieder wird man hier mit Veränderung und daraus resultierenden Herausforderungen konfrontiert. Um Zeit und Nerven zu sparen, gilt es, darauf kreativ zu reagieren.

Du willst neue Wege für blockierende Probleme finden? Versuche, in dem Problem bereits die Lösung zu sehen und arbeite mit dem, was da ist – beides durchaus revolutionäre Aspekte aus der Permakultur. Dabei kann übrigens auch die Design-Thinking-Fragestellung “How might we…” unterstützen: Diese hilft dabei, Schwierigkeiten als lösbare Herausforderung zu verstehen und kreativ anzugehen. 

Doch die Permakultur geht noch weiter: Ziel ist es, mit einer Lösung nicht nur ein, sondern gleich mehrere Probleme zu lösen. Und jedes Element deines Systems sollte mehrere Funktionen haben. Beispiel: Habe ich in meinem Garten Bienen, ist das nicht nur gut für meine Pflanzen, sondern ich bekomme auch Honig. Diese Multifunktionalität wird auch „stacking functions” genannt. 

Auf deiner Website heißt das zum Beispiel, eine gut konzipierte Landingpage gleichzeitig für Suchmaschinen zu optimieren und für Kampagnen zu nutzen. Zack, eine Seite, zwei Lösungen.

Und mache dein nächstes Online-Meeting doch mal im Stehen und dehne dich dabei ein bisschen. Und vielleicht kannst du das nächste Arbeitstelefonat ja sogar nach draußen verlegen, für frische Luft und Bewegung – alles Beispiele von „Stacking Movement & Nature Back Into Life”

Also, denke um die Ecke und arbeite auf kreative Art und Weise mit dem vermeintlichen Problem, nicht dagegen.

Fazit: Lieber lebendig!

Dein Garten braucht es, deine Website braucht es, wir brauchen es alle: Das Leben! Lasst uns gemeinsam nachhaltig denken und unser Umfeld lebendig gestalten, anstatt es nur irgendwie am Leben zu halten.

Das war nun ein kleiner Einblick in einige der Prinzipien der Permakultur. Die insgesamt 12 Permakultur-Prinzipien und Webdesign kann man wunderbar zusammenbringen. 

Bist du neugierig geworden und willst noch mehr über Permakultur erfahren? Es gibt viele tolle und motivierende Dokumentarfilme zum Thema und starten kann man Permakultur auch ohne Garten (oder Website) – es reicht ein Fensterbrett oder Balkon

Mit nur etwas Geduld kann Permakultur dabei helfen, unser Leben und unsere Umwelt neu und nachhaltig zu gestalten – wenn wir es zulassen, kreativ zu denken. Beispiele gefällig? Vorher- / Nachher-Bilder, die inspirieren. 

Und das wünsche ich mir auch fürs Webdesign: es soll etwas Organisches sein mit zufriedenen Usern, interaktiv im fruchtbaren Austausch, inklusiv und vor allem mit ganz viel gegenseitiger Unterstützung – kurz: Die Website lebt!


Foto Isa von HobeIsa von Hobe ist eine der Gründerinnen des Web-Netzwerks allcodesarebeautiful. Fokus der Agentur liegt auf Webdesign, Branding und Sichtbarkeit. Zusammen mit Kund*innen und Kolleg*innen erprobt sie neue Ansätze, die digitale Landschaft nachhaltiger zu gestalten und beteiligt sich an der frisch gestarteten Initiative °Cleaner-Web.

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