»Erzähl mir was Neues«

  • 19.02.2020
  • von christiane kuerschner
Im Gespräch mit Lena Marbacher über das Wirtschaftsmagazin "Neue Narrative" und natürlich über gutes Arbeiten ...
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Die Arbeitswelt ist im Wandel, Lena Marbacher und ihr Team machen diesen Wandel in ihrem Wirtschaftsmagazin „Neue Narrative“ sichtbar. Im Interview erzählt sie uns von der Intention hinter der Magazingründung, ihren Organisationsstrukturen und ihrer Idee von gutem Arbeiten.

Liebe Lena, gerade erschien die 7. Ausgabe von „Neue Narrative“, dem Wirtschaftsmagazin für die neue Arbeitswelt. Warum brauchte es deiner Meinung ein alternatives Wirtschaftsmagazin und worin unterscheidet es sich von anderen?

Es braucht eine Alternative zur aktuell vorherrschenden Wirtschaft. Weil es gar nicht so leicht ist, sich diese Alternativen vorzustellen, erzählen wir davon im Magazin. Individuell sind viele Menschen längst bereit und sehnen sich nach einem Wandel, arbeiten aber in Organisationen, die so ticken wie in den 70er-Jahren. Das passt nicht zusammen. Aber es ist Zeit, das zu ändern. Deshalb braucht es so ein Magazin.

Welche Themen beschäftigen euch und finden einen Platz im Magazin?

Uns beschäftigen immer wieder neue Themen. Bisher waren es z. B. sinnvoll genutzte Macht, geteilte Führung, Selbstorganisation, die Verantwortung von Wirtschaft und Unternehmen, Produktivität, Achtsamkeit, das Überwinden unserer Egos, Geschlechtergerechtigkeit, Leistung, Eigentum, Spannungen und ihre positive Wirkung auf Veränderungen und das Durchbrechen der eigenen New Work Blase. Das alles verpacken wir in reichlich illustrierten Artikeln, nutzbaren Tools, Case Studies, Reflexionsfragen, Kolumnen und einer Beilage als Poster oder Sticker. Man kann sich das Heft vorstellen wie einen richtig guten Workshop.

Wie organisiert ihr eure Redaktion? Seid ihr ein online vernetztes Team oder gibt es das gute, alte Redaktionsbüro?

Beides. Wir arbeiten selbstorganisiert, bilden unsere Verantwortung in Rollen ab, die wir nach Kompetenz und Motivation flexibel besetzen. Es gibt also Hierarchien, die auf Kompetenz basieren und sich verändern können und wir haben Entscheidungsprinzipien und Regeln, an die wir uns halten. Es ist ein Organigramm in Bewegung, denn die Organisation entwickelt sich stetig weiter und bleibt vermutlich nur im Wochen- oder Monatsrhythmus die gleiche. Wir arbeiten viel remote, aber haben auch ein Büro. Vom klassischen Redaktionsbüro mit knarrenden Ledersesseln und Zigarre träumen wir noch 😉

Es ist ein Printmagazin. Warum habt ihr kein Online-Magazin gestartet und geht diesen Weg?

Ein richtig gutes Printprodukt in den Händen zu halten, ist einfach anders als ein digitales Magazin zu lesen. Unsere Inhalte sind mitunter so konzipiert, dass es sich lohnt, sich Zeit zu nehmen und mit einem Stift im Heft Notizen zu machen. Obwohl das alles digital umsetzbar wäre, sind wir recht sicher, dass gerade in unseren Dauer-Online-Zeiten so ein anfassbares Magazin bewirkt, dass wir das Smartphone mal beiseite legen, uns eine Stunde hinsetzen und einfach mal etwas lesen, ein Tool ausprobieren und reflektieren. Den Einsatz von Ressourcen versuchen wir durch eine Cradle-to-Cradle-Druckerei minimal zu halten. 

Und es sei verraten: wir testen gerade einige digitale Produkt-Prototypen, die neben dem Printmagazin eigenständig entstehen werden.

In der Magazinvorstellung heißt es: Werde gemeinsam mit uns Teil einer Bewegung. Wie würdest du diese Bewegung charakterisieren? Wer ist ein Teil davon? 

Die Bewegung besteht aus Menschen, die etwas am Status Quo verändern wollen. Dazu zählen ganz unterschiedliche Menschen: vom selbstständigen Jazzmusiker bis zum ambitionierten Pfarrer. Vom Polizeipräsidenten über die Change-Manager*innen im Konzern, bis hin zu Berater*innen und Coaches. Von Gründer*innen und Politiker*innen über Pflegekräfte im selbstorganisierten Unternehmen. 

In jedem Fall lebst du wohl das vor, was viele als ein Element von neuem Arbeiten sehen würden: Du bist vielseitig, startest Projekte und scheinst dir immer wieder neue Herausforderungen zu suchen. Du bist als Beraterin, Speakerin und Moderatorin tätig, hast an der School of Design Thinking studiert und gelehrt. Du bist promovierte Designerin und warst Lehrbeauftragte an der Hochschule für Künste Bremen. Außerdem bist du Partnerin des Unternehmens TheDive und Gründerin des Neue Narrative Magazins, dass ihr gerade als Verlag der Zukunft (NN Publishing) ausgegründet habt. Würdest du sagen, dass diese Vielfältigkeit eher zufällig ist, weil es sich so ergeben hat oder ist dein Werdegang typisch für die Zukunft des Arbeitens? 

Ich glaube mein Werdegang ist eher typisch für eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur. Die kommt in allen Generationen vor und es hat sie schon immer gegeben, würde ich behaupten. 

Was eher typisch für unsere heutigen und zukünftigen Arbeitsumfelder ist, ist dass neue Berufe schneller entstehen und auch vergehen, als Hochschulen und Ausbildungsstätten sich verändern können. Ich glaube, es ist deshalb heute sinnvoller, sich den eigenen Lebenslauf selbst zu bauen und im Zweifel Pionierarbeit zu leisten, als darauf zu warten, irgendetwas zu werden. Und genauso werden sich innerhalb eines Berufslebens Rollen und Aufgaben häufiger verändern. Dafür sollten wir bereit sein, mit dem Lernen nie aufzuhören – was ja im Grunde fantastisch ist – aber es ist auch ein kleiner Abschied von der Idee, irgendwann endlich fertig zu sein.

Eine Person, die Vielfältigkeit liebt und Lust hat, sich in unterschiedlichsten Bereichen immer wieder auszuprobieren, wird es da womöglich leichter haben. Aber wir Menschen gewöhnen uns auch an so vieles. Ich glaube, der typische Werdegang der Zukunft, wird bald genauso normal sein, wie der typische Werdegang von vor 20 Jahren. Das macht heute nur diejenigen nervös, die mit dem Glauben an den Werdegang von vor 20 Jahren groß geworden sind und mit dieser Sozialisierung versuchen, den Anforderungen von heute gerecht zu werden. Das erzeugt natürlich Spannungen. Aber auch die lassen sich lösen 🙂

Welche Freiheiten schenkt dir diese Art des Arbeitens und wo liegen die Herausforderungen?

Mir schenkt diese Art zu Arbeiten Ruhe im Kopf, weil da immer so viele Ideen drin sind, die einfach raus müssen. Wenn ich nichts davon umsetzen dürfte, würde ich vermutlich verrückt werden. Mich auszuprobieren und ständig eine neue Aufgabe vor mir zu haben, macht mich schlichtweg glücklich, insbesondere dann, wenn ein Team um mich herum ist, das in seinen Ambitionen ähnlich tickt. Es kann sonst auch nervig werden, wenn immer jemand mit neuen Ideen um die Ecke kommt. 

Und ich bin überzeugt davon, etwas wirklich wichtiges zu tun – auch wenn ich das ständig infrage stelle. Auch das ist ja erstmal nicht verkehrt, sich immer wieder zu überprüfen, ob das was man tut, wirklich die Wirksamkeit hat, die man sich erhofft hat. Oder ob es besser ist, manches sein zu lassen und dafür anderes in den Fokus zu nehmen.

Die Herausforderung dabei sind Pausen, Fokus und Grenzen zu ziehen, also eine gute Selbststeuerung. Meine wichtigste Erkenntnis dabei ist, dass dieser Teil genauso wichtig ist, wie die produktive Seite. Beides in Balance zu halten, ist die große Kunst. Ich geh deshalb viel in den Wald und bin da gern für mich. Und ich kreiere mir bewusst Langeweile. 

Zum Schluss die Frage nach dem Magazintitel: Ein Narrativ ist eine Erzählung, die Sinn und Werte vermittelt, und einen Einfluss darauf hat, wie wir die Welt wahrnehmen. Wie transportiert ihr diese Definition auf euer Magazin?

Wir glauben, dass Sprache unser Denken formt und das die Geschichten, die wir hören, unsere Vorstellung der Welt gestalten. Wenn wir immer nur Filme von weißen, männlichen Helden sehen, dann glauben wir daran, dass Helden weiß und männlich sind. Wenn wir in Kinderbüchern immer lesen, dass Mama zu Hause die Pflege der Kinder übernimmt, anstatt zu arbeiten, dann formen diese Geschichten unsere Sicht auf Familie. 

Wir erzählen im Neue Narrative Magazin deshalb ganz bewusst von anderen Geschichten. Von Organisationen, die sich nicht nur nach Profit steuern. Von selbstorganisierten Unternehmen, die sich selbst gehören. Von emotionalen Chef*innen, die Macht abgeben. Von Firmen, die ein echtes Problem unserer Welt lösen. 

Wenn wir mehr solcher Beispiele kennen und die entsprechenden Tools zur Hand haben, dann wird diese Art der Wirtschaft für uns plötzlich vorstellbar und real – und sie findet Nachahmer*innen. Bei diesem Gedanken kriege ich immer Gänsehaut. 


Lena Marbacher begleitet seit 2009 Konzerne, Mittelständler und Start-Ups, damit diese ökonomisch, ökologisch und sozial sinnvoll wirtschaften können.
Seit 2018 ist sie Gesellschafterin des Unternehmens TheDive. 2017 initiierte sie das Wirtschaftsmagazin Neue Narrative als Projekt innerhalb von TheDive, welches sie 2019 gemeinsam mit Sebastian Klein, und Martin Wiens als Verlag der Zukunft, in sogenanntem Verantwortungseigentum, ausgegründet hat. Lena ist promovierte Produktdesignerin, studierte und lehrte an der School of Design Thinking.

 

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