»Eintauchen«

  • 30.09.2019
  • von christiane kuerschner
Ein Interview mit Barbara Zuber und Renate Franke von der „school of facilitating“ ...
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Facilitating ist ein Begriff, der bei Unternehmen im deutschen Sprachraum eher noch selten zu hören ist. Die Methode und Tools sind super hilfreich, um Prozesse zu gestalten und damit auch die „Betriebstemperatur zu erhöhen“. Barbara Zuber und Renate Franke gründeten die school of facilitating in Berlin und verschafften uns beim Good Enfants Terribles-Tag am 16.11.2019 Einblicke in die Möglichkeiten und Arbeitsweisen von Facilitatoren. Ein paar Einblicke in die Facilitation gibt es in diesem Interview. Außerdem findet ihr weiter unten einen kleinen Ausflug in die Theory U und eine Übung von uns dazu. Viel Freude beim Lesen und Ausprobieren!

In der Süddeutschen wurde 2011 ein Beitrag zum Berufsbild des Facilitatoren mit „Wie man störrische Angestellte versöhnlich stimmt” betitelt. Sind Facilitatoren also die Friedensmacher im Unternehmen?

Das würde ich so nicht sagen! Das klingt so weichgespült. Facilitatoren sind Ermöglicher – dazu gehört manchmal auch, die Betriebstemperatur zu erhöhen, emotionale Themen ansprechen zu können, einer Gruppe blinde Flecken zu spiegeln und auch Konflikte auszutragen, immer mit dem Ziel, die Gruppe in eine sinnvolle Zukunft zu begleiten. Wenn man das unter Frieden schaffen versteht, dann passt es wieder.

Der Begriff “Facilitating” ist bei uns noch eher unbekannt. Woher stammt die Idee und was sagt sie aus? Was ist der Unterschied zu “Moderation” – wenn es einen gibt?

Der Begriff kommt aus dem Amerikanischen  – uns ist er zum ersten Mal in in den 80er Jahren in Zusammenhang mit Konfliktbewältigung begegnet – und wird unterschiedlich übersetzt: Ermöglicher, Prozessbegleiter manchmal auch mit Moderator. Für uns besteht allerdings ein Unterschied zwischen Moderation und Facilitation.

Moderation ist zielorientiert. Das Ziel ist vorab definiert und es geht dann darum eine Gruppe in einem Meeting oder Workshop auf das Ziel hin zu moderieren.

Facilitation hat den großen Rahmen “enabling powerful change” (nach der International Association of Facilitators) und kreiert und hält einen Raum, in dem eine Gruppe Antworten auf ihre Herausforderungen finden kann. Facilitation macht den Raum erst einmal auf, bevor es dann um den nächsten konkreten sinnvollen Schritt geht. Dabei sorgt sie auch für Orientierung, Fokus und Struktur für den Prozess.

Wie spielt dabei die Theory U mit hinein?

Theorie U ist für uns ein guter Orientierungsrahmen vor allem für tiefere Prozesse, in denen es um Transformation geht. Es handelt sich weniger um eine Theorie, als um einen “Fahrplan”.

Über Theory U – inklusive einer kleinen Übung dazu

Theory U ist ein Ansatz für Veränderung, der uns bei Les Enfants Terribles schon seit einiger Zeit in Transformationsprojekten begleitet. Bereits 2007 von Otto Scharmer, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), veröffentlicht, steht Theory U in der Tradition der Aktionsforschung und der Systemtheorie und wurde von ihm in Kombination seiner praktischen Erfahrungen als Berater und wissenschaftlicher Reflexion entwickelt. Aus Frustration über relativ viele nicht gelungene Veränderungsprozesse, haben Scharmer und sein Team mehr als 150 Interviews mit weltweit führenden Unternehmern, Wissenschaftlern und Kreativen geführt um deren Erfolgsstrategien für Veränderung, Wandel und Innovation besser zu verstehen. Dabei sind sie immer wieder auf die kreative Kraft von Perspektivwechsel, Empathie und Praktiken der Stille aber auch die generelle Bedeutung von Haltung gestoßen.

Otto Scharmer zitiert einen seiner Interviewpartner, den ehemaligen CEO von Hanover Insurance Bill O’Brien, der seine eigene Erfahrung aus zahlreichen Transformations- und Veränderungsprozesse mit den folgenden Worten zusammenfasste: „Der Erfolg einer Intervention ist abhängig von der inneren Verfassung des Handelnden.“ Entlang des Prozesses unterstützen deshalb eine Reihe von Methoden und Modellen gezielt dabei, unsere gewohnten Sichtweisen zu verlassen. Der Form des Buchstabens „U“ folgend, fokussiert seine Abwärtsbewegung darauf den Kontext oder Problemraum nicht nur aus unterschiedlichen Perspektiven zu erkunden, sondern sich auch auf unterschiedlichen Bewusstseinsebenen (Verstand, Herz) damit zu verbinden. Dabei lassen wir nach und nach diejenigen Perspektiven und Strategien los, die wir in unserer Vergangenheit erfahren, gelernt und entwickelt haben. Gleichzeitig lassen wir uns auf neue Sichtweisen ein und spüren neue Impulse.

Am tiefsten Punkt des U‘s geht es darum ganz gegenwärtig und im Hier und Jetzt zu sein und die Eindrücke aus den voran gegangenen Phasen zu verarbeiten. Scharmer hat dafür ein eigenes Wort, „Presencing“, erfunden. Es setzt sich aus den Wörtern “presence”(Gegenwart) und “sensing“(hinspüren) zusammen. „Presencing“ heißt „sein eigenes höchstes Zukunftspotenzial zu erspüren, sich hineinziehen zu lassen und dann von diesem Ort aus zu handeln.“ (Scharmer).In diesem Zustand stehen wir in der Verbindung mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und sind in der Lage kreative Impulse für die Manifestation und Umsetzung zukünftiger Lösungen zu erkennen. Damit knüpft Scharmer nicht nur an die alpha Waves aus der modernen neurologischen Forschung an, sondern auch an alle alten kontemplativen Traditionen. In der Aufwärtsbewegung des U’s setzt Scharmer darauf die Lösungsansätze in Iterationsschleifen weiter zu entwickeln.

Dabei können sie nicht nur im realen Kontext getestet und mit den Betroffenen im praktischen Tun weiterentwickelt, sondern auch relevante neuen Denkmuster und Verhaltensweisen eingeübt und gefestigt werden. Im gesamten Prozess gibt es starke Parallelen zum ursprünglich eher auf Produktinnovationen ausgelegten und wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb ungleich bekannteren Design Thinking. Die einzelnen Schritte sind dabei vom Prinzip her nahezu identisch und bedienen sich aus ähnlichen disziplinübergreifenden Methoden- und Werkzeugkoffern. Mit einem Fokus auf systemischen Wandel und Veränderung und den in diesem Zusammenhang relevanten Erfolgsfaktoren betont Otto Scharmer allerdings sowohl intrapersonale, als auch interpersonale Aspekte und Beziehungen und deren Reflexion.

Weil die zugrunde liegende Haltung beider Ansätze ähnlich und auf jeden Fall kompatibel ist, lohnt es sich für jeden, der bereits mit einem arbeitet auch einmal einen Blick auf den jeweils anderen zu werfen. Wer einen praktischen ersten Eindruck von Theory U bekommen möchte, kann einzelne Aspekte aus dem gesamten U-Prozess im Schnelldurchlauf in einer ca. 45 Minuten dauernden Journaling Übung auf den eigenen Veränderungskontext anwenden. Sie ist Teil unseres Moduls „Transformation“ unserer Les Enfants Terribles »Ausbildung zum*r New Work Professional« und kann hier als Audio und Textdatei heruntergeladen werden. Die Übung stammt ursprünglich aus dem Toolkit der Presencing Institutes (www.presencing.org), wo du auch weitere Ressourcen findest.

Kann man sagen, dass Facilitatoren Change Prozesse im Unternehmen in die richtige Richtung “bewegen”, indem sie die Menschen, die den Wandel durchführen sollen, in den Blick nehmen?

Ja, kann man sagen. Es geht um Beteiligungsprozesse – d.h. mit den Menschen in den Unternehmen Zukunft zu gestalten. Wobei wir hinter das Wort “richtig” eine Fragezeichen setzen würden. Die Richtung legen die Menschen in den Unternehmen fest und sie wird dauernde Anpassungsbewegungen erfordern. Dafür wachsam zu sein und Menschen wachsam zu machen, ist unser Job.

Was unterscheidet das Facilitating von anderen Change-Beratungsformen? Sagt ihr überhaupt noch “Change” – oder lieber “Transformation”? Gibt es für euch einen Unterschied?

Wir haben unser Buch “Facilitating Change” genannt, denn nicht jeder Facilitating Auftrag beinhaltet einen Transformationsprozess. Manchmal facilitieren wir einfach einen nächsten Schritt in einem System, und ermöglichen damit wieder Handlungsfähigkeit in verfahrenen Situationen.

Ihr habt gemeinsam die School of Facilitating gegründet. Wie kamt ihr zu dem Thema? Und mit welchen Fragestellungen oder in welchen Situationen suchen Unternehmen eure Beratung auf?

Wir haben unabhängig voneinander in den Unternehmen, die wir begleitet haben, immer Wert darauf gelegt, die Menschen zu beteiligen und weniger zu beraten, damit Lösungen tragfähig sind und gelebt werden. Dann entdeckten wir, dass man das facilitating nennt und fanden es wichtig, diesen Ansatz im deutschsprachigen Raum bekannter zu machen. Auch wenn es ein sperriges Wort ist. Aber wir sind dem Begriff treu geblieben und mittlerweile ist er auch hier sehr viel bekannter geworden. Immer mehr Unternehmen müssen sich neu erfinden, um zukunftsfähig zu bleiben oder zu werden. Da kommen sie mit Beratern alleine nicht weiter. Wenn sie merken, dass es um einen mind shift geht, um Adaptions- und Zukunftsfähigkeit und um einen gemeinsamen Weg mit den Mitarbeitern, dann finden sie oft den Weg zu uns.

Ihr bildet Führungskräfte zu Facilitatoren aus. Wie muss man sein, welche Eigenschaften oder Kompetenzen vielleicht schon haben, um ein*e gute*r Facilitator zu werden? Welche Fertigkeiten erlernen sie in eurer Ausbildung und wie verändert sich der Blick der Teilnehmer*innen?

Zu uns kommen Führungskräfte, die weniger an dem Machtaspekt von Führung interessiert sind, sondern etwas bewegen wollen – zusammen mit ihren Mitarbeitern. Die also einen Wir-Fokus haben. Bei uns lernen sie dann, wie sie den Weg durch das U gestalten und ihren Blick auch auf den Prozess richten und weniger ausschließlich auf die Inhalte.

Welche Rolle werden Facilitatoren in der Arbeitswelt der Zukunft spielen?

Wir denken eine ziemlich große! Wir haben so viel Wandel im Moment und Wandel gedeiht leichter mit Begleitung um nachhaltig und erfolgreich zu sein.


Barbara Zuber ist seit 1993 selbständig als Coach, Trainerin und Facilitator und ein forschender Geist für Themen rund um die persönliche Entwicklung von uns Menschen. Zurzeit liegt ihr Schwerpunkt auf dem Thema „neues Denken: Kopf, Herz und Hand als eine Einheit“. Facilitating ist für sie eine wichtige Facette in der Führungskräfteentwicklung und zum Aufbau von Resilienz.

Renate Franke ist seit 1995 selbständig als Trainerin, Coach, Facilitator. Facilitating ist für sie die passende Haltung und die Theory U ein wunderbarer Leitfaden dafür. Zentrales Anliegen ihrer Arbeit ist es, Menschen auf ihre Potenziale aufmerksam zu machen und sie zu motivieren, diese für den persönlichen Erfolg ebenso einzusetzen wie für den Erfolg des Gesamtunternehmens.

Barbara und Renate leiten seit 13 Jahren die school of facilitating in Berlin. Sie sind Experten für Prozessbegleitung. Die school bietet u.a. die Ausbildung Facilitating Change auf Basis der Theorie U für Führungskräfte und Berater an.

Am 16.11.2019 sind Barbara und Renate Speakerinnen auf unserem Good Enfants Terribles-Tag. Hier könnt ihr eure Karten dafür buchen!

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