»It’s a match!«
Anna Kaiser und Jana Tepe haben 2014 mit ihrem Start-Up „Tandemploy“ die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt und in Deutschland die ersten Anfänge in Richtung „New Work“ gemacht. Wie sieht es aktuell aus und was braucht es für mehr neue, gute Arbeit in den Führungsetagen? Das und mehr fragten wir die beiden Gründerinnen.
Tandemploy gibt es jetzt schon seit einigen Jahren. Wie hat sich euer Unternehmen entwickelt, wie hat sich vielleicht auch der Markt entwickelt? Erzählt uns ein bisschen zu eurem aktuellen Angebot.
Anna Kaiser: Angefangen haben wir mit einer reinen Jobsharing-Plattform. Bei uns konnten Jobsuchende Tandempartner finden, um sich gemeinsam auf eine Stelle zu bewerben. Gleichzeitig fanden und finden Unternehmen einen Pool an potentiellen Kandidat*innen, die für diese Art des Neuen Arbeitens offen sind. Mit der Zeit kamen immer mehr Unternehmen mit dem Wunsch auf uns zu, auch innerhalb ihrer Organisation flexible Strukturen zu schaffen und Mitarbeitende zu Tandems zu matchen. Daraufhin haben wir eine Software entwickelt, die Firmen intern einsetzen können, um ihre Mitarbeitenden zu vernetzen.
Jana Tepe: Jobsharing ist nach wie vor Teil davon, die Möglichkeiten sind aber viel breiter. Mit der Software können sich Mentoring-Tandems finden, Teams für Projekte, Kolleg*innen, die ein Jobshadowing machen möchten und vieles mehr.
Was ist aus eurer Sicht nach aktuell die stärkste Veränderung in der Organisationsentwicklung in Unternehmen?
Jana: Wir merken, dass das Interesse am Thema „New Work“ riesig ist, aber die bestehenden Strukturen in Unternehmen einfach nicht zu dem passen, wofür New Work steht: eine Arbeitsweise, die den Menschen in den Mittelpunkt rückt, die auf Freiheit und Verantwortung für jeden Einzelnen setzt, unabhängig von Jobtiteln und Position, und die menschliche Verbindungen, also Netzwerke, zum entscheidenden Erfolgskriterium macht. Vernetztes Arbeiten funktioniert aber nur in offenen und durchlässigen Strukturen. Diese zu schaffen, ist noch eine große Hürde für viele Unternehmen. Klar ist aber auch, dass solche tiefgreifenden Veränderungen nicht von heute auf morgen passieren.
Anna: Viele Menschen sind es gewöhnt, nach strikten Vorgaben und Prozessen zu arbeiten. Das hat sehr lange sehr gut funktioniert, passt aber nicht mehr zu den Anforderungen, vor denen Unternehmen heute stehen. Plötzlich ist Selbstverantwortung gefragt und das Verständnis von Führung und Geführt-werden wandelt sich. Neues Arbeiten kann nicht allein “von oben” angeordnet werden. Es muss sich auch aus der Organisation heraus entwickeln – bottom-up. Alle Mitarbeitenden in diese Entwicklung einzubeziehen halte ich für extrem wichtig. Unternehmen und Führungskräfte müssen heute erkennen können, welche Skills durch die eigenen Mitarbeiter*innen bereits in der Organisation vorhanden sind und diese aktivieren.
Reichen zarte Versuche, die hierarchischen Strukturen in Unternehmen aufzubrechen? Was glaubt ihr, was es für richtige Veränderung braucht?
Anna: Ich denke, Hierarchie ist nicht per se schlecht. Auch und gerade in flexiblen Strukturen sind Regeln und Prozesse notwendig, um gut miteinander arbeiten zu können. Und es braucht Menschen, die Entscheidungen treffen. Was sich ändern muss, ist, dass diese Entscheidungsbefugnis nicht mehr an einen Jobtitel oder eine Stufe auf der Karriereleiter geknüpft ist. Jede*r im Unternehmen sollte eine Führungsaufgabe für ein Projekt übernehmen können, wenn er oder sie die richtigen Skills hat, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Das heißt auch, dass Führungsverantwortung nicht starr ist, sondern sich je nach Aufgabe immer wieder neu auf die Mitarbeitenden verteilen kann. Die starre Pyramide muss beweglich werden.
Jana: Hier sehe ich auch die neue Rolle von erfahrenen Führungskräften, also des “Middle Managements” der klassischen Pyramide. Statt Vorgaben zu machen, sollten sie alle Mitarbeitenden dazu befähigen, Entscheidungen treffen zu können. Als Mentor*innen können sie ihre Erfahrungen weitergeben, Teams begleiten und coachen, Feedback und Bestätigung geben und ganz wichtig: eine Kultur schaffen, in denen Fehler erlaubt sind und Learnings offen kommuniziert werden.
Sind Unternehmen bereit für das Prinzip des Jobsharings, d.h. Verantwortlichkeiten auf mehrere Schultern zu verteilen, anstatt sie auf einen Mitarbeiter beschränken zu können?
Anna: Unternehmen spüren einen großen Veränderungsdruck. Das merken wir auch an der Resonanz, die wir bekommen. Viele große Konzerne wie SAP, Evonik oder Beiersdorf nutzen unsere Software bereits, um ihre Mitarbeitenden teils weltweit zu vernetzen, und es kommen zunehmend auch mittlere und kleinere Unternehmen dazu. Das spricht dafür, dass eine Öffnung für neue Arbeitsmodelle in Gang ist. Die reine Einführung dieser Technologie ist aber nur ein Teil des Großen Ganzen. Sie muss einhergehen mit einem (zumindest beginnenden) Wertewandel im Unternehmen.
Wenn Mitarbeiter*innen sich beispielsweise mit Hilfe unserer Software vernetzen und neue Ideen entwickeln oder sich als Tandem zusammenfinden, dieses dann aber von der Führungsetage blockiert wird, wird es schwierig – oder sagen wir: spannend. Digitalisierung ist in erster Linie ein kultureller Wandel, erst dann kann die Technologie ihr Potential entfalten. Gleichzeitig ist automatisiertes Matching eine gute Möglichkeit, um einfach mal zu starten.
Jana: Unternehmen brauchen Erfolgsbeispiele, um sich auf Veränderungen einzulassen. Je eher sie sich trauen, einfach loszulegen und neue Arbeitsmodelle zu probieren, desto schneller werden sie ihre eigenen Erfolgsgeschichten erzählen und daran anknüpfen können. Der zunehmende Wunsch nach flexiblen Arbeitsmodellen auf Seite der Mitarbeitenden ist dabei definitiv hilfreich, um Unternehmen aus ihrer Komfortzone zu holen.
Und sind denn die Arbeitnehmer dazu bereit, sich den Status einer Stellung mit einem Kollegen zu teilen?
Anna: Hier sind wir wieder beim Thema Kulturwandel und dem damit verbundenen Abschied von Positions- und Stellendenken. Wenn alle Mitarbeitenden gehört werden, wenn sie Verantwortung aufgrund ihrer Kompetenz übernehmen dürfen und nicht aufgrund ihres Jobtitels zugewiesen bekommen, steigt auch die Bereitschaft, Informationen und Wissen zu teilen. Exklusivität ist dann keine funktionierende Währung mehr.
Jana: Guckt man sich die Vorteile an, die Jobsharing mit sich bringt, verblasst das Status-Argument ziemlich schnell. Immer mehr Menschen sehnen sich nach mehr Zeit für Tätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit und nach Flexibilität. Ich wage zu behaupten, dass selbstbestimmtes Arbeiten den meisten wichtiger ist als ein Titel. Hier geht es um Lebensqualität.
Was braucht es als Grundlage, damit Jobsharing und der damit verbundene Wissenstransfer gelingen kann?
Jana: Ganz allgemein braucht es ein übergeordnetes Ziel, das alle gemeinsam verfolgen und eine Unternehmenskultur, die auf Kollaboration statt auf Konkurrenz setzt. Sprich: Mitarbeitende müssen angeregt werden, miteinander zu reden und voneinander zu lernen. Damit Jobsharing funktioniert braucht es die richtige Mischung aus Freiheit und Struktur. Mitdenken, verlässliche Absprachen zu Arbeitszeiten und Deadlines treffen und das Aufeinander-Acht-geben sind bei flexiblen Arbeitsmodellen wichtiger denn je.
Das stellt besondere Anforderungen an die Kommunikation untereinander. Es muss mehr und schneller kommuniziert werden, ohne jedoch einen Informations-Overkill zu erzeugen. Methoden und Tools, um diese Strukturen zu bauen, gibt es reichlich. Entscheidend ist, aus dem riesigen Pool diejenigen rauszusuchen, die für die Bedürfnisse der Mitarbeitenden und Teams sinnvoll und gut handhabbar sind.
Inwiefern können Arbeitnehmer selbst Einfluss darauf nehmen, ihre Arbeitsumgebung flexibler zu gestalten und etwas in Bewegung zu setzen?
Anna: Neues Arbeiten mit altem Betriebssystem funktioniert nicht oder nur sehr schwer. Daher kann es für den Einzelnen schwierig sein, anders zu arbeiten, wenn Kolleg*innen und Führungskräfte nicht mitziehen und mauern. Ein paar Einfallstore gibt es aber. Meiner Erfahrung nach ist zum Beispiel Projektarbeit eine gute Gelegenheit, um Dinge auszuprobieren. Intrapreneurship, also die Ausgründung einzelner selbstorganisierter Einheiten aus dem Unternehmen heraus, kann ebenfalls Experimentierräume schaffen. Wenn ein*e Mitarbeiter*in eine gute Idee hat, lohnt es also, diese als Projekt bei der Geschäftsleitung zu pitchen und Kolleg*innen dazuzuholen, um es gemeinsam umzusetzen. Wichtig ist dabei, die erfolgreiche neue Arbeit sichtbar zu machen und daran anzuknüpfen.
Jana: Ich denke es ist wichtig, lösungsorientiert und positiv an die Sache ranzugehen. Eine Bekannte, die gerade aus der Elternzeit in den Beruf zurückgekehrt ist, hat das clever gemacht. Sie hat alle Kolleg*innen, die es betrifft, zusammengeholt und angekündigt, dass sie ab sofort einen Tag im Home Office arbeiten würde – es sei denn, es gäbe gute Gründe, die dagegen sprechen. Auf die Bedenken der Kolleg*innen hatte sie sich gut vorbereitet und konnte für alle Eventualitäten eine Lösung präsentieren. Seitdem arbeitet sie im Home Office und es funktioniert. Einfach mal zu machen, selbstbewusst und proaktiv zu agieren und gleichzeitig das Team mit einzubeziehen, halte ich für einen guten Weg.
Wie hat sich denn eure (Zusammen-)Arbeit im Lauf der Jahre verändert? Und wie glaubt ihr, wird sie sich weiter verändern?
Anna: Wir haben zu dritt angefangen, heute sind wir 25 Teammitglieder. Das verändert natürlich die Anforderungen an die Kommunikation untereinander. Mal schnell über den Tisch absprechen funktioniert nicht mehr. Auch wir brauchen mittlerweile Regeln und Rituale, um weiterhin maximal flexibel zusammenarbeiten zu können. Wir experimentieren selber viel mit neuen Arbeitsformen und lernen stetig dazu. Was uns wichtig ist, ist größtmögliche Offenheit und dass wir uns unseren Optimismus und die Freude an der Arbeit bewahren.
Anna Kaiser und Jana Tepe sind die Gründerinnen und Geschäftsführerinnen von Tandemploy, einer jungen Firma, die seit 2014 die Arbeitswelt auf den Kopf stellt. Das mittlerweile über 20-fach ausgezeichnete Berliner Unternehmen (u.a. LinkedIN Top Top Voice, ‘25 Frauen’, die unsere Wirtschaft revolutionieren, Chefsache-Award 2017, IT- Women of the year 2018) entwickelt Software, die Mittelständler wie Konzerne beim gelungenen Wissenstransfer sowie der Flexibilisierung ihrer Strukturen und Arbeitsmodelle unterstützt – und sie damit fit macht für die digitale Transformation. Hierfür nutzen sie den stärksten Hebel, den Organisationen haben: die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.