»Lernen ist das neue Arbeiten«
Susanne Busshart ist Expertin für Culture Change und Digitale Transformation. Sie begleitet Unternehmen zu Change Management und New Work mit dem Ziel, diese in die nächste Evolutionsstufe zu heben. Sie ist Speakerin, Autorin und veröffentlicht regelmäßig Trends zu New Work. Ihr Herzensthema: „Räume nach innen und außen“. In diesem Beitrag teilt sie ihre Gedanken zum Thema Lernen. Lest rein, denn hier gibt es etwas zu lernen.
Ich habe mich gerade eine Weile mit dem Lernen beschäftigt und würde am liebsten ein Start-up dazu gründen, da ich der Meinung bin, dass man hier wirklich einen Footprint hinterlassen kann. Das Thema wird für uns in Zukunft so wichtig werden, dass sich JEDER damit beschäftigen sollte.
In unserer immer schnelllebiger werdenden Welt, im 21. Jahrhundert, muss Bildung sich ständig neu erfinden. Das, was wir einmal im Studium gelernt haben, reicht schon lange nicht mehr aus, Menschen durch ein ganzes Berufsleben zu bringen. Ich glaube auch, dass es noch nie wirklich ausgereicht hat. Aber definitiv ist Wissen jetzt nicht mehr so lange “haltbar”.
Es stellt sich also die Frage, wie man Bildung und Lernen auf unsere heutige Zeit anpassen muss. Wie kann man Lernen verändern? Wie kann man es so verändern, dass es über das ganze Leben oder über die ganze Kariere verteilt, immer dem Rechnung trägt, was man gerade an Knowhow benötigt. Wissen wird heute viel schneller obsolet und der Erwerb muss daher viel zügiger gehen. Und er muss vielleicht auch fokussierter sein.
Das Lernen messen via DLOQ
Interessant wäre zu wissen, wie man in Unternehmen lernt und ob man das überhaupt messen kann. Die guten Nachricht zuerst: Es gibt neue Möglichkeiten und Studien dazu, wie man Lernkultur im Unternehmen bestimmen kann. Wer sich dazu näher informieren möchte, sollte nach DLOQ googeln. Was man hier in 7 verschiedenen Dimensionen ermittelt, kann sehr ernüchternd sein. Dazu möchte ich an dieser Stelle nicht ins Detail gehen, aber bei DLOQ geht es darum, die Lernkultur im Unternehmen zu verstehen und weiter zu entwickeln. Ein spannendes Thema.
Was kann man also tun, um in Zukunft besser mit der Thematik „Lebenslanges Lernen“ umzugehen?
Dazu muss Unternehmenskultur Lernkultur werden. Damit meine ich, dass man sich ALLE Ebenen der Organisation angucken sollte. Der Mensch im Mittelpunkt, aber auch die Teams und die ganze Organisation. Nur, wenn dies gewährleistet ist, wird man auf allen Ebenen Lernen integrieren können und damit in der Zukunft wettbewerbsfähig sein und bleiben.
Was bedeutet Lernen in Organisationen?
Das bedeutet, dass Führung Lernen vorleben muss. Das bedeutet aber auch, dass Budget und Zeit dafür gegeben sein müssen. Und wie ihr wisst, sind für mich auch die richtigen Räume für Lebenslanges Lernen wichtig. All das sollte akzeptiert sein, organisiert sein und konsequent umgesetzt werden. Sicherlich keine leichte Aufgabe aber durchaus lohnenswert.
Schauen wir in die Organisationen: Was bedeutet das Thema für Organisationen? Das Verhältnis zwischen Arbeiten und Lernen ändert sich. Viele sagen, dass Lernen des neue Arbeiten wird. Es geht also darum, die lernende Organisation neu zu erfinden. Man weiß heute, dass 70-80 % Lernen schon in Arbeit integriert stattfindet. Das ist eine gute Nachricht aber es bedeutet auch, dass es neue Wege des Lernens geben muss.
Lernen: Online oder Offline?
Blended Learning ist in aller Munde aber Blended Learning darf auch nicht dazu genutzt werden, mit den Onlineanteilen in der Lernstrategie die Mitarbeiter zu kontrollieren. Übrigens, Blended Learning bedeutet einfach nur, dass Präsenztrainings mit online oder digitalen Trainingsmethoden gekoppelt werden. Das war vor ungefähr 20 Jahren schon einmal total hipp.
Wenn man sich heute Schulungen, Konferenzen und Trainings anschaut, könnt man sich richtig aufregen. Es hat sich gefühlt in den letzten 30 Jahren nichts geändert. Immer noch trifft man auf 99% “Fontalbeschallung”, volle Folien und wenig mitreißende Redner. Das kann doch so nicht weiter gehen! Heute möchten Mitarbeiter nicht mehr zu frontalen Präsenzschulungen gehen, sondern auch Gamification oder innovative Arten von Lernmöglichkeiten kennenlernen. Sie wollen auch neu Methoden kennenlernen und animiert werden, Dinge sofort auszuprobieren. Es macht auch viel mehr Sinn individuelle Lerninhalte anzubieten, die für das viele Geld, was Firmen für Weiterbildung ausgeben, dann auch Nutzen stiften und die Firma voranbringen. So genannte persönliche Lernreisen wünscht man sich doch, oder?
Zurück zum Blended Learning, was gerade wieder hipp wird: Es ist interessant zu sehen, dass eine Stunde e-learning in der Produktion ungefähr 30.000 € kostet. Das heißt also, dass Lernen sehr teuer sein kann. Ich glaube auch nicht, dass die Produktion von Lerninhalten der Weisheit letzter Schluss beziehungsweise der Trend ist. Ich glaube an das Kuratieren von Lerninhalten. Ich glaube daran, dass – im Zuge der Individualisierung unserer Gesellschaft – es immer wichtiger wird, die richtigen Lerninhalte für das Individuum zu schaffen. Und das ist sehr spannend. Kuratiertes Lernen könnte sich zu meinem neuen Lieblingsthema mausern.
Und die Mischung macht‘s. Für mich zumindest: Ich finde es gut, face-to-face zu lernen, mich mitreißen zu lassen, eine spannende Gruppe motivierend um mich herum zu haben. Aber wir alle wissen auch, dass es Dinge gibt, die man einfach einmal ruhig für sich lernen muss und wenn ich Webinare oder andere Onlinemodule jederzeit zwischen schieben kann, wenn ich mir die Zeit nehmen kann, nutze ich Flexibilität und schaffe Effizienz. Klingt sehr logisch für mich.
Wie wirkt sich Künstliche Intelligenz auf unser Arbeitswelt aus?
Wir hören und lesen überall in den Medien, dass durch Künstliche Intelligenz, sich unsere Arbeitswelt verändert. Dass ganz viele Jobs wegfallen. Wenn man sich dies aber genauer anschaut und hinterfragt, so fallen zwar Jobs weg aber es werden auch fast doppelt so viele Jobs neu geschaffen. Das sagt zumindest das World Economic Forum. Natürlich wird es eine Transformation geben. Wenn man mehr Details hinterfragt, wird die Situation lange nicht mehr so bedrohlich diskutiert. Man glaubt nämlich mittlerweile sogar, dass nicht ein ganzer Job, sondern nur 30 % eines Jobs wegfallen. Das würde ja heißen, dass man 30 % neu entwickeln kann. Das ist sich eigentlich eine großartige Nachricht für jeden von uns und für jedes Unternehmen. Ermöglicht das nicht, Dinge zu tun, die man noch nie probiert hat, neue Freiräume zu schaffen, noch disruptiver zu werden? Hier mein typischer Appell an dieser Stelle: Bitte das „halbvolle Glas“ sehen!
Man glaubt auch interessanterweise, dass innerhalb der Jobs die Effizienz über künstliche Intelligenz kommt aber der eigentliche Wert für das Unternehmen durch den Menschen erzeugt wird. Ich finde das ist eine sehr gute Sicht auf die Dinge. Ich finde aber auch, dass das in der Konsequenz bedeutet, das Lernen zu Selbstverständlichkeit werden muss, weil es uns immer weiter nach vorne bringt und ständig begleiten wird.
Implikationen für Bildung an unseren Hochschulen
Auch an unseren Hochschulen tut sich so langsam etwas. Es gibt neue Plattformen, die mehr auf soziales Engagement und nicht mehr auf Fachunterricht setzen. Das Konzept des Lebenslangen Lernens hält auch hier Einzug. Man weiß, dass das Studium alleine in unserer Welt nicht mehr funktioniert. Das hier erlangte Wissen ist zu kurzlebig in unserer schnelllebigen Welt.
Ein tolles Beispiel für einen innovativen akademischen Ansatz ist die Code University. Hier propagiert man, dass es beim Lernen nicht um „Überleben“ geht, sondern um “Mitgestalten”. Man spricht in der Hochschule heute von „curiosity driven education“. Prima Strategie, die in die richtige Richtung geht.
Kommen unsere Studenten aber heute in Unternehmen, haben sie es oft schwer. Viele Menschen gehen davon aus, dass die Jungen von den Alten lernen sollten. Klar, kann man in vielen Fällen davon ausgehen, dass das stimmt. Aber kann man nicht vielmehr voneinander lernen? Können nicht die Alten von den Jungen oft viel zu Technologie und Digitalisierung lernen. Oder zu neuen Arten zu lernen, die sich nicht mehr nur auf Bücher bezieht, sondern seit vielen Jahren YouTube und andere Plattformen für sich entdeckt haben, die Wissen in allen Bereichen aufsaugen. Und das oft in einer Wahsinnsqualität und vor allem absoluter Aktualität?
Aber junge Mitarbeiter können wirklich nicht nur von den erfahrenen Kollegen lernen. Das ist spätestens seit dem Konzept des Reverse Mentoring widerlegt. Es ist besonders interessant zu sehen, wie Wissen zwischen Generationen weitergegeben werden kann. Da geht es nicht um alleiniges Mentoring, sondern wirklich um Lernen. Das Konzept des Reverse Teachings finde ich als Gedankenansatz sehr cool.
Ich habe sogar etwas dazu gefunden, wieviel Lernen man in einen Arbeitsplatz von heute integrieren sollte. Da wir ja über „Lernen ist das neue Arbeiten“ sprechen, ist das vielleicht nicht ganz unwichtig. Man kann heute davon ausgehen, dass man 5-10 Stunden pro Woche mit Lernen verbringen sollte. Interessant, oder?
Was bedeutet zeitgemäßes Lernen?
Keinesfalls mehr das Büffeln in der Universitätsbibliothek, sondern zum Lernen gehören heute ganz viele Dimensionen. Immer größerer Beliebtheit erfreuen sich Podcasts und Videos, Webinare, aber natürlich weiterhin Bücher, Magazine, Konferenzen und Schulungen. In USA schießen seit geraumer Zeit viele Lernplattformen aus dem Boden, wie 2U, EDX, getsmarter, Cousera und viele andere. Vielleicht sollte man sich daran ein Beispiel nehmen und schauen, was man aus dem Fundus vieler schlauer Menschen lernen kann.
Manche Menschen lernen für sich allein und in der Gruppe – abwechselnd. Dies ist motivierend und schafft sozialen Austausch. Kombiniert mit ruhigen Allein-Lerneinheiten kann das sehr effizient sein. Aber auch hier gilt: Die immer individueller werdende Gesellschaft sorgt für immer individuellere Lernkonzepte, die es geben muss.
Wo wir bei Modernität sind und wie man lernen muss, sollte man auch das Thema Agilität beleuchten. Ich bin großer Anhänger von agilen Konzepten und finde, dass dies auf Lebenslanges Lernen adaptiert werden muss. Der Lernende hört doch wirklich nie auf zu lernen. In der Konsequenz heißt dass, es handelt sich um einen iterativen und inkrementellen Prozess. In kleinen Schritten und spezifischen Inhalten, vielleicht eher kleinen Häppchen, kommt man zu einem Ziel. Nein, eigentlich eher zu einem Etappenziel, weil wir sprechen ja von Lernen, was nie aufhört. Außerdem sollte sich heute nicht mehr alles um die Inhalte drehen, wie das noch in vielen Studiengängen heute der Fall ist, sondern der Mensch sollte im Mittelpunkt stehen!
Wie hilft uns Fußball bei Lebenslangem Lernen?
Ich habe noch etwas Interessantes gefunden: Einen Vergleich von Lebenslangem Lernen und Fußball. Es wurde in einem Artikel beschrieben, dass ganz viele Menschen zu Seminaren gehen, zurückkommen in ihre Firmen, aber die gelernten Dinge niemals anwenden, weil sie sofort wieder im Alltagsgeschäft eingebunden sind. Das kenne ich selbst, man kommt mit soviel Motivation und wertvollen Inhalten im Gepäck zurück und der Alltag holt einen schneller ein, als man Dinge ausprobieren kann. Meist benötigt man dazu ja auch seinen Chef, seine Kollegen oder Mitarbeiter in gewisser Weise, die man erst einmal einbinden muss und die sich wiederum auch die Zeit freischaufeln müssen. Aber es kann doch auch nicht sein, dass Zeit, Geld und vor allem die positive Motivation verpuffen.
Was hat das mit Fußball zu tun? Jeder Fußballtrainer sagt, dass man üben muss, Abläufe trainieren, Automatismen einstudieren. Man bekommt einen Freistoß nicht einfach erklärt, sondern man übt ihn stundenlang. Und das jeden Tag. Darüber sollte man vielleicht nachdenken, wenn man über neue Lernformen und andere Strukturen im Arbeitsleben zum Thema Lernen nachdenkt. Digitalisierung und Onlineinhalte sind toll, aber die Praxis ist damit vielleicht nicht unmittelbar zu ersetzen.
Noch einmal zum Thema Kuratieren. Eine interessante Zahl, die ich gefunden habe: 1,7 MB Daten pro Sekunde werden im Jahr 2020 pro Person erzeugt Das heißt also, wir befinden uns immer mehr in einem Zeitalter des “Overload”. In der Digitalen Transformation ist es daher wirklich nötig, Dinge zu kuratieren. Auch Informationen einmal weg zu lassen. Dies halte ich besonders im Bereich des Lebenslangen Lernens für wichtig, da es an Inhalten eine schier unendliche Anzahl von Möglichkeiten gibt. Man kann sich darüber streiten kann, ob diese Möglichkeiten alle zeitgemäß aufbereitet und auf dem neuesten Stand sind – aber dies ist ein anderes Thema.
Wie geht es Dir denn persönlich mit dieser “Wissensoverload”? Das würde mich wirklich einmal interessieren! Schreib mir doch dazu. Ich persönlich bestelle mir ständig tolle Bücher, Zeitschriften, speichere Links zu Whitepapers, tollen Videos und Podcasts ab, weil ich schon alleine die Titel geil finde, mich aber auch so wahnsinnig viel interessiert. Aber wieviel schaue ich mir dann wirklich an? Und das Schlimme ist, dass ich schon ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich die Sonntagszeitung mal nicht ganz gelesen bekomme. Man könnte ja was verpassen…. Kennst Du das auch? Das würde mich ungemein beruhigen!
CLO Chief Learning Officer als neuer Stratege in der Unternehmensführung
Schaut man in einzelne Unternehmen, wird klar dass es am schwierigsten in mittelgroßen Unternehmen ist, ein Konzept für Lebenslanges Lernen zu erarbeiten. In großen Firmen ist es viel eher möglich, Budgets und auch Verantwortlichkeiten zu definieren, Personen zu finden, die sich um Lernkonzepte kümmern und Vorgesetzte, die entsprechende Zeiten fürs Lernen zur Verfügung stellen. In ganz kleinen Firmen gibt es auch wenige Probleme. Da lernt jeder von dem jedem und man ist sehr flexibel. Der begrenzende Faktor ist hier meist das fehlende Budget.
Um es noch komplizierter zu machen, stelle ich mir die grundlegende Frage, ob wir wirklich überhaupt noch lernen können, beziehungsweise, ob alle von uns noch lernen können – oder ob man nicht auch Kurse zum „Lernen lernen“ anbieten muss. In USA gibt es mittlerweile viele Firmen, die sich einen CLO, einen Chief Learning Officer leisten, um den Mitarbeitern die passende Hilfestellung zu geben. Aber auch,, um neue Lernstrategien zu entwickeln, passende Partnerschaften aufzubauen und die Wichtigkeit des Themas zu symbolisieren. Auch bei uns wird die Position eines Chief Learning Officers in Zukunft populärer. Das Spannendere daran ist, dass Lernen dabei weniger in Personalbereichen/HR, sondern eher an der strategischen Ecke aufgehängt ist. Und das ist genau richtig so.
Klar wird also, dass sich Arbeit in Richtung Lernen verändern muss und wir sollten offen damit umgehen. Viele Menschen wechseln ihren Arbeitsplatz, um noch einmal etwas zu anderes zu lernen, noch einmal eine andere Perspektive zu sehen. Daher ist es wichtig, um unser höchstes Gut, den Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten, die Möglichkeiten des internen Lernens anzubieten. Man sollte aber auch offen damit umgehen, dass Menschen vielleicht in andere Firmen wechseln, um zu lernen. Sich dieser Dynamik zu widersetzen, macht wenig Sinn. Viel zielführender ist es, über Kooperationen zwischen Firmen nachzudenken.
Framework eines Workplace Futuristen
Ich möchte gerne ein Workplace Futurist sein, daher werde ich mich mit diesem Thema jetzt näher beschäftigen. Die Disziplin des Lernens gehört hier genauso hin, wie mein Lieblingsthema Räume. Lernen hat sehr viel mit Räumen zu tun. Auch die Räume müssen sich verändern, um sich ständig weiter entwickelnder Lernumgebungen zu eröffnen. Ich glaube, dass man einen Weg finden kann, wie man systematisch in Unternehmen Lernen für den Einzelnen weiterentwickelt, im Team und auch im ganzen Unternehmen. Darüber denke ich konzeptionell gerade nach und ich könnte mir vorstellen, dass man zunächst ein gewisses Assessment durchführen muss, dass man sich ganz viele andere Beispiele anschauen sollte, um dann die nötige Strategie für den Einzelnen zu entwickeln. Erst auf dieser Basis ist es möglich, Lerninhalte speziell für den Einzelnen zusammenzustellen und ihm damit seine ganz persönliche Entwicklung und Karriere zu ermöglichen.
Ein sehr spannendes Thema. Es gibt noch viel zu lernen und ich hoffe, es hat euch Spaß gemacht! In diesem Sinne, happy learning!
Dieser Beitrag erschien zuerst online auf diary.digital.