»Wie steht es ums gute Arbeiten?«
Wie sehr sind New Work-Methoden in Organisationen bereits verankert? Wer schiebt Veränderungen an und wer will alles eher beim Alten belassen? Und was verstehen Mitarbeitende und Führungskräfte eigentlich unter New Work? Der Wirtschaftspsychologe Carsten C. Schermuly führt mit dem New Work-Barometer gemeinsam mit dem Personalmagazin und Commax Consulting eine jährliche Befragung durch, die Antworten darauf gibt.
Lieber Carsten, was waren für dich die wichtigsten Erkenntnisse, die du aus dem New-Work-Barometer 2022 mitnimmst?
Ich fand es gut, dass New-Work-Maßnahmen wieder häufiger eingesetzt werden. Wobei man da auch ein bisschen vorsichtig sein muss, weil nicht jedes Jahr die exakt gleiche Unternehmensstichprobe befragt wird. Aber die Tendenz zeigt, dass es wieder mehr in Richtung New Work geht, weil die Leute wieder in Präsenz zusammenkommen. Während Corona haben sich viele Leute eher auf das Homeoffice konzentriert, da wurde weniger agile Projektarbeit praktiziert oder z. B. an der Verflachung von Hierarchien gearbeitet.
Was mir aufgefallen ist: Bergmann ist out. Wie erklärst du dir das?
Ja, das zeigen die Daten ganz deutlich. Bergmann wird auch in der Berater-Szene wenig gelesen und es wird einem Aspekt wenig Aufmerksamkeit geschenkt: er hat eine soziale Utopie geschaffen. Und das ist mehr als „Wir bauen da jetzt mal an einem Unternehmen rum und verflachen eine Hierarchie“.
Das erklärt, warum er im Vergleich zu den anderen Verständnissen eher weniger Zustimmung bekommt. Aber: die Zustimmung nimmt kontinuierlich ab. Und das finde ich bedenklich.
Was ist daran bedenklich?
Jetzt, wo das Thema Homeoffice so stark mit New Work assoziiert wird, gehen die Wurzeln der Bewegung verloren. Das ist schade. Man muss Bergmann nicht wortwörtlich nehmen, aber da stecken auch einige Ideen drin, die Organisationen nutzen können. Er sollte wieder häufiger gelesen werden. Aber es bleibt ein eher philosophisches Buch, in dem eine soziale Utopie vorgestellt wird.
Es ist kein Ratgeber mit einer How-To-Anleitung für gutes Arbeiten.
Ja, eine Utopie ist kein Ratgeber, den man abarbeiten kann. Und Bergmann schlägt auch die Abschaffung der Lohnarbeit vor. Da kann ich auch manche Führungskräfte verstehen, wenn sie sagen „Okay, die Ideen von dem wirklich wirklich Wollen finde ich ganz gut, aber Abschaffung von Lohnarbeit finden wir nicht so gut, weil das unser System ist.“ Oder ich bin Personaler und sage „Wenn sich jetzt alle selbstständig machen würden, dann würde mir noch mehr Personal fehlen als bereits jetzt.“.
Im New-Work-Barometer verliert Bergmann, aber auch das Homeoffice ist nicht die Nr. 1. Am ehesten wird New Work mit den Begriffen „New Work Charta“ und „psychologisches Empowerment“ assoziiert. Ganz grob gefragt: Wenn New Work weniger Bergmann-Utopie ist, steuern wir dann darauf zu, dass New Work immer stärker instrumentalisiert wird und zu einer Management-Methode wird, um noch mehr Leistung abzurufen?
Ja, was ich momentan spüre ist, dass New Work eher instrumentalisiert wird. Deswegen habe ich mich auch motiviert gefühlt, die New Work-Dystopia zu schreiben. New Work wird als Schleifchen, als Geschenkpapier für Transformationsprozesse genutzt und dadurch instrumentalisiert. Ich möchte das Einsparen von 20 Prozent Bürofläche irgendwie schöner klingen lassen und dann wird der Open- Space-Bereich auf einmal New Work genannt. Oder das Achtsamkeitstraining soll sich noch besser verkaufen, dann nenne ich halt Achtsamkeit New Work. Und dann passiert es, dass viele Leute sagen „Lass mich mit New Work in Ruhe!“, weil sie damit auch sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben.
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Prof. Dr. Carsten C. Schermuly: „New Work Dystopia. Scheitern im Wandel und wie es besser geht“
Haufe Verlag, 2023
216 Seiten, 29,99 Euro
ISBN: 978-3-648-16963-6
Wenn ich Selbstbestimmung isoliert nutze und die Leute nicht gleichzeitig darin kompetent mache, will ich ihnen auch keine Macht übertragen. Dann ist das ein nacktes Gerüst. Und so kann die Autonomie auch verängstigen und Leute überfordern. Aber so ist es mit allen New-Work-Maßnahmen: Sie können isoliert immer gegen die Mitarbeitenden eingesetzt werden. Vertrauensarbeitszeit kann eingesetzt werden, um keine Überstunden mehr bezahlen zu müssen. Auch mit weniger Hierarchieebenen können Organisationen wahnsinnig viel Geld sparen.
Und dann kommen wir auch schon zur Frage, welche Grundhaltung dahintersteckt und vor allem welche Zielsetzung mit New Work assoziiert ist.
Ja, und da kommen wir auch zum psychologischen Empowerment.
Beim psychologischen Empowerment haben wir mehrere Vorteile. Der erste Vorteil ist, dass der Ansatz sehr nah an Bergmann dran ist. Also Bergmann stellt sich eine Welt vor, in der Menschen selbstbestimmt arbeiten, in der sie Sinn erleben, wo sie auch einflussreich sind. Und das haben wir übersetzt in diese psychologische Konzeption.
Psychologisches Empowerment beschreibt anhand der vier Facetten
- Kompetenz,
- Bedeutsamkeit,
- Selbstbestimmung und
- Einfluss
wie Mitarbeitende ihre Arbeit erleben. Sind diese vier Faktoren in einem ausgewogenen Verhältnis, ergibt sich für die Mitarbeitenden ein besonderes Gefühl gegenüber ihrer Arbeitsrolle. Durch die wissenschaftliche Fundierung sowie der Messbarkeit hat sich psychologisches Empowerment in der Praxis als Zielsetzung von New Work durchgesetzt.
Ein weiterer Vorteil des psychologischen Empowerments ist: Man kann es messen und operationalisieren. Man kann erfassen, ob und wie New -Work-Maßnahmen wirken und schauen, ob es Veränderungen gibt. Man sieht: An welcher Stelle erleben Mitarbeitende psychologisches Empowerment? Wo müssen wir vielleicht auch gerade jetzt nichts tun und können die Leute vielleicht auch mit New Work in Ruhe lassen? In welchen Abteilungen und Teams sitzen die Menschen, die wenig Sinn erleben, die wenig Selbstbestimmung, Einfluss und Kompetenz erleben? Und dann kümmert man sich erst einmal um diese Gruppen.
Das hat nachweislich viele positive Konsequenzen. Mitarbeiter*innen sind motivierter, es gibt weniger Fälle von Burn-Out. Wir konnten in Studien zeigen, dass Leute sogar ihren Renteneintritt nach hinten verschieben, wenn sie diese vier Facetten von Empowerment erleben. Der Weg hin zum Empowerment ist ein sehr komplexer psychologischer Prozess. Das geht nicht mit „Ach, wir suchen uns mal eine Methode aus und machen das“. Dieser komplexe Prozess ist auch abhängig von der Persönlichkeit der Menschen, von der Unternehmensgröße, der Unternehmenskultur und vielem mehr.
Und wer leitet diesen Prozess? Die Personalabteilung?
Meistens ja, was ich nicht so gut finde. Ich glaube auch, dass die Gruppen, die New Work im Unternehmen implementieren, divers zusammengesetzt sein sollten. Da gehört die Personalabteilung dazu, aber die sind häufig weit weg von der konkreten Arbeit. Und deshalb sollte man auch wirklich die Menschen und ihre Perspektiven einladen, die sich mit ihrer eigenen Arbeit auskennen. Projektmitarbeiter*innen, Führungskräfte – das sind die Leute, die solche Prozesse voranbringen, aber auch verhindern können. Man braucht die Leute, die Budgetverantwortung haben, auch Teile des Vorstands sollten dazukommen und vor allem auch der Betriebsrat. Ich würde den Prozess also breiter und diverser aufstellen, sodass es dann auch viel besser über die Multiplikatoren ins Unternehmen diffundieren kann.
Kennst du ein Unternehmen, was das schon ganz toll macht mit dem Empowerment?
Das ist ganz schwierig zu sagen, denn es gibt ganz unterschiedliche Ansätze und es braucht sehr individuelle Schritte. Deshalb habe ich im letzten Jahr mit der New Work-Utopia das fiktive Unternehmen Stärkande beschrieben.
Nach dem Hype, den die Veröffentlichung des Buchs ausgelöst hat, haben sich auch einige Unternehmen gemeldet, die meinten, dass sie einige Arbeitsprinzipien von Stärkande bereits nutzen. Und das stimmt auch. Arineo ist z. B. ein Unternehmen aus Göttingen, was sehr viel für das Empowerment ihrer Mitarbeitenden tut.
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Prof. Dr. Carsten C. Schermuly: „New Work Utopia. Die Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt“
Haufe Verlag, 2022
167 Seiten, 29,95 Euro
ISBN: 978-3-648-15934-7
Und auch die Menschen in den Unternehmen sind höchst unterschiedlich.
Ja, genau. Menschen, die viel Variabilität, viel Veränderung im Job brauchen, denen schnell langweilig wird, das zeigen unsere Studien, die profitieren z. B. mehr von agiler Projektarbeit als Menschen, die stabile Systeme bevorzugen. Die Organisationskultur hat auch einen starken Einfluss darauf, wie sich agile Projektarbeit auswirkt. Wenn ich agile Projektarbeit einführe, aber gleichzeitig noch eine Kultur vorherrscht, die sehr streng hierarchisch orientiert ist, in der Mitarbeitende wenig Einfluss erleben und zum Schluss doch wieder alle Prozessschritte kontrolliert werden, kann ich so viel agile Projektarbeit praktizieren, wie ich möchte: Es wird nicht zu den gewünschten positiven Empowerment-Erlebnissen führen.
Eine weitere interessante Beobachtung ist die Rolle der Führungskräfte. Das Barometer zeigt, dass sie New Work schon mögen, aber ihre Macht nicht abgeben möchten. Sie möchten nicht, dass ihr Status Quo wirklich in Frage gestellt wird. Wie passt das?
Im vorletzten Jahr haben wir im New Work Barometer den Unterschied zwischen großen Unternehmen und den kleinen und mittelständischen Unternehmen aufgemacht. Und da sahen wir schon einen deutlichen Unterschied, dass nämlich die kleinen und mittelständischen Unternehmen im Durchschnitt etwas mutiger sind, wenn es um die Abgabe von Macht geht. Sie praktizieren auch eher mal Maßnahmen, mit denen der Status Quo in Frage gestellt wird. Dieses Jahr haben wir geschaut, wie sich in diesem Punkt Führungskräfte und Mitarbeitende voneinander unterscheiden. Und das ist schon ganz spannend. Es gibt keine riesigen Effekte, aber es sind statistisch signifikante Effekte, vor allem bei den Maßnahmen, die den Status Quo in Frage stellen.
Wir haben bereits über Bergmann gesprochen: Auch da haben wir den signifikanten Unterschied, dass die Kolleginnen und Kollegen in Führungsrollen Bergmann weniger akzeptieren, ihn weniger zugehörig zu New Work erleben.
Dann ist ja die Frage, wie die gute Arbeit ins Unternehmen kommt. Ich denke, es ist ein Prozess des Loslassens, vielleicht auch eine Art Graswurzelbewegung?
Ja, es ist kein einfacher Weg und vor allem auch kein Weg, der sehr schnell gegangen werden kann. Es ist braucht einen langen Entwicklungsprozess, in dem wir uns verändern, weil sich unsere Umwelt verändert. Deshalb ist es schwierig, wenn Berater in die Unternehmen kommen und dann Versprechungen machen wie „Okay, in sechs Monaten wenden wir dieses und jenes an und dann ist der Prozess abgeschlossen.“ Das glaube ich nicht.
…das aber nicht von oben aufoktroyiert werden kann.
Ja. Wenn die Kolleginnen und Kollegen dieses positive Zukunftsbild nicht sehen, dann werden sie sich auch nicht verändern. Sie werden immer wieder auf die Vergangenheit referieren und sagen: „Ich bin doch anders erfolgreich geworden, warum soll ich jetzt auf einmal davon loslassen.“ Auch hier gilt: Wir müssen die Betroffenen zu Beteiligten machen. Wir sollten die Mitarbeitenden, die Führungskräfte auf verschiedenen Ebenen, in den Prozess einladen, ihre Meinung einholen, einfließen lassen, sie befragen. Okay, wie können wir denn euer persönliches Empowerment-Erleben stärken? Was können wir tun, dass auch ihr im mittleren Management mehr Bedeutsamkeit, mehr Selbstbestimmung, mehr Einfluss und mehr Kompetenz-Erleben wahrnehmt? Das ist, glaube ich, etwas ganz Wichtiges. Und klar, es sollte auch mal über das Thema Angst gesprochen werden. Darüber sprechen wir häufig in den Führungskräfte-Trainings: Wie kann ich das Empowerment in meinem Team steigern? Aber auch: Welche Ängste sind damit verbunden? Gibt es eine Angst vor dem Verlust der Kontrolle?
Vielleicht ist es auch die Angst, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Vielleicht fragen sie sich: Bin ich in einem neuen System überhaupt noch wichtig? Werde ich überhaupt noch gebraucht?
Genau. Und wenn das System so gebaut ist, dass ich als Führungskraft viel mehr Gehalt und den Parkplatz bekomme, so dass ich näher am Eingangstor des Unternehmens parken darf, dass ich in der Kantine einen reservierten Platz habe – dann soll ich das alles auf einmal abgeben? Das ist schon sehr schwierig und da brauche ich als Führungskraft ein anderes Angebot. Eine andere Frage ist auch, ob man aus Hierarchien immer zwingend austreten muss. Es gibt eine gewisse Größe, wo es auch Sinn macht, weiter mit Führungskräften zu arbeiten, aber gleichzeitig die Art der Führung zu verändern. Dann ist das viel weniger beängstigend, wenn man sagt: Wie behalten die Hardware, aber wir arbeiten nun konsequent an der Software.
Das New-Work-Barometer ist eine Befragung von Praktiker*innen aus verschiedenen Unternehmen, die jedes Jahr im April und Mai durchgeführt wird. Die Befragung wird online und anonym durchgeführt, die Stichproben sind zwischen den Jahren nicht identisch. Am New-Work-Barometer 2022 haben 581 Unternehmensvertreter*innen aus Branchen wie der Industrie (14,8 Prozent), dem IT-Bereich (14,6 Prozent) und der Beratungsbranche (13,6 Prozent) teilgenommen. Mehr Infos gibt es hier.
Zum Schluss: Was können Unternehmen oder auch Führungskräfte aus dem New-Work-Barometer für sich mitnehmen?
Wir hatten letztes Jahr den Schwerpunkt Agilität und die Ergebnisse zeigen: Agilität ist nicht tot. Es wird weiterhin praktiziert und es passiert einiges. Dieses Thema würde ich also nicht aus den Augen verlieren.
Das ist das eine. Und ich würde vielen Menschen raten, über ihr persönliches Verständnis von New Work nachzudenken. Was verstehe ich darunter und was im Kontext meines Unternehmens?
Dafür lässt sich auch das New-Work-Barometer gut nutzen, denn es lädt zum Reflektieren und Nachdenken ein. Die einfachste der vier Facetten von Empowerment ist Selbstbestimmung. Es ist einfach einem Team zu sagen, dass es sich alleine organisieren soll. Schwieriger ist es, den Sinn zu finden, Kompetenz zu fördern und Menschen einflussreich fühlen zu lassen. Es ist viel, viel herausfordernder, alle vier Facetten auf einmal im Blick zu haben. Und es braucht diese vier Facetten, um Empowerment zu erleben.
Prof. Dr. rer. nat. Carsten C. Schermuly ist Vizepräsident für Forschung und Transfer an der SRH Berlin University of Applied Sciences sowie dortiger Leiter des Studiengangs Internationale Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Wirtschaftspsychologie. Gemeinsam mit dem Personalmagazin und Commax Consulting führt er jährlich das New-Work-Barometer durch. Das Personalmagazin wählte ihn auch in die Top40 der HR-Köpfe 2021.
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