»Führung für New Work — Wie kann das gehen?«

  • 16.01.2023
  • von Theo Zichel
  • Lesezeit: 10 Minuten
Braucht es noch Führung? Und wenn ja, wie passt Führung und Selbstorganisation zusammen?
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Mit den Entwicklungen in der Arbeitswelt, die oft unter dem Schlagwort New Work verhandelt werden, verändert sich zwangsläufig auch die Rolle von Führungskräften.

Zugespitzt könnte man sogar vom postheroischen Zeitalter für Führungskräfte sprechen. Die einzelne Führungskraft ist nicht mehr der/die alleinige Held*in. Bedeutsame Aufgaben und Verantwortung übernehmen zunehmend mehr Personen in Organisationen und die Tätigkeiten, welche zuvor noch alle bei einer einzigen Führungskraft angesiedelt waren, werden nun auf unterschiedliche Rollen verteilt.

In vielen Unternehmen ist es heute noch so, dass Karriere und berufliche Weiterentwicklung mit der Übernahme von Führungspositionen gleichgesetzt werden. Erst wird eine Teamleitungsposition übernommen, dann Abteilungsleitung, dann Bereichsleitung und schließlich die Geschäftsführung oder eine Position im Vorstand.

Nicht jede/r ist jedoch per se dazu geeignet, eine Führungskraft zu werden und will es vielleicht auch gar nicht.

»Viele Mitarbeitende sind Expert*innen und Spezialist*innen, müssen aber in Führungspositionen ‚aufsteigen‘, wenn sie ihre berufliche Weiterentwicklung nicht vorzeitig beerdigen wollen. «

Das ist unverständlich, denn womöglich verliert das Unternehmen dadurch eine/n kompetente/n Spezialist*in und gewinnt eine inkompetente Führungskraft. Manche Unternehmen reagieren darauf mittlerweile mit verschiedenen Karrierepfaden z .B. bieten sie Fachkarrieren als Alternative zur klassischen Führungskarriere an. Das reicht aber nicht aus. Ob eine Person für Führung geeignet ist, muss anhand von verschiedenen Kompetenzen und Anforderungen bewertet werden, nicht nur primär anhand von operativen Erfolgen.

Und wie sieht es nun mit Führung in New Work aus? Führung in der Selbstorganisation? Was verändert sich dann noch zusätzlich?

Dafür müssen wir erstmal verstehen, was Selbstorganisation überhaupt bedeutet, da hier das Verständnis mitunter genauso weit auseinanderklafft wie bei der Debatte um New Work.

Die Definition von Selbstorganisation

Selbstorganisation [altgriechisch ὄργανον (organon), ‚Instrument, Werkzeug‘], bezeichnet die eigenständige Strukturierung und Ordnung der Prozesse in einem physikalischen, biologischen oder sozialen System. Selbstorganisation beschreibt nach dieser Definition in der Managementlehre die Formen des Selbstmanagements einer Gruppe.

Die Selbstorganisation wird in der Systemtheorie auch mit der Autopoiesis gleichgesetzt. Autopoiesis  [altgriechisch αὐτός autos, ‚selbst‘ und ποιεῖν poiein ‚schaffen, bauen‘] ist der Prozess der Selbsterschaffung und -erhaltung eines Systems. In diesem Sinne besitzt jede Organisation immer eine Autopoiesis oder Selbstorganisation, ohne welche sie nicht existieren würde, z.B. wäre auch die Ausbildung von Hierarchien und formalen Managementstrukturen eine Folge der Selbstorganisation und Selbsterschaffung des Systems.

Selbstorganisation in New Work

Im New Work Kontext wird Selbstorganisation oft mit geteilter Verantwortung im Team und wenig bis gänzlich fehlenden hierarchischem Management assoziiert. Das Team managt sich selbst, ohne Eingreifen und Kontrolle einer vorgesetzten Führungskraft. Agiles und rollenbasiertes Arbeiten befähigen Teams in diesem Zusammenhang zu mehr Selbstorganisation. Führungskräfte sorgen dann maßgeblich für gute Rahmenbedingungen im Prozess.

Selbstorganisation ist kein Selbstzweck, auch agiles oder rollenbasiertes Arbeiten nicht. Die Idee dahinter ist, dass eine solche Strukturierung der Arbeit in komplexen und volatilen Kontexten Effektivität sicherstellt. Selbstorganisation wird nicht relevant, weil es Menschen ‚toll‘ finden, sondern weil es funktionaler ist und unternehmerischen Mehrwert bietet. Jedenfalls in einer volatilen Arbeitsumgebung.

»Selbstorganisation ist nie pauschal funktionaler. Es kommt immer auf das Team, die Produkte, den Markt und die Organisation an. «

Machtverhältnisse entstehen immer, wenn zwei Menschen aufeinandertreffen. Das passiert genauso in der Selbstorganisation wie in einer klassischen Hierarchie, jedoch auf andere Art und Weise.

Zum Umgang mit dem tabuisierten Thema der Macht in der Selbstorganisation empfehle ich folgenden Beitrag:

Wie steht es um unsere Führungskultur in Deutschland?

Die INQA (Initiative neue Qualität der Arbeit) hat im Jahre 2014 insgesamt 400 Führungskräfte von Vorstands- bis Teamleitungsebene in Tiefeninterviews befragt. Das Ziel war, die unbewussten Wertemuster bezüglich der sich im Wandel befindlichen Führungskultur freizulegen. Die Ergebnisse sind weiterhin hochaktuell.

In der Studie wird erläutert, dass „die Schere zwischen Führungspraxis und Führungsanforderungen“ seit Jahren immer stärker auseinanderklafft. „Ein Großteil der Führungskräfte sieht den typisch deutschen Führungsstil als einen entscheidenden Nachteil im Ringen um Bindung und Gewinnung von Talenten“.

Fünf Typen der Führung können ausgemacht werden. Zwei Typen stechen dabei besonders in den Blick.

»Der erste Typ konzentriert sich auf „Simulation von Netzwerkdynamik“. «

Die Führungskraft lässt in dieser Rolle „viel Raum für Eigeninitiative und begünstigt die ungehinderte, hierarchiefreie Vernetzung zwischen allen Akteuren im Unternehmen“.  Es geht darum, Menschen mit „unterschiedlichen Lebensentwürfen unter einer attraktiven Vision“ zu vereinen und „auf ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation“ zu vertrauen. Das zentrale Ziel „ist, die Komplexität vernetzter Märkte durch eigene Netzwerke zu bewältigen“.

Wenn sich in der Organisationsstruktur allmählich der Übergang zur Netzwerkorganisation abzeichnet, dann „schwindet der selbstverständliche Schonraum hierarchischer Strukturen“. Das führt dazu, dass „die Durchsetzung eigener Vorstellungen über Anweisung“ immer schwieriger oder gar nicht mehr möglich ist. Macht kann nur gelebt werden, wenn sie bei den Mitarbeitenden auch auf Resonanz trifft. Soziale Kompetenzen, wie z. B. Einfühlungsvermögen gewinnen an Wichtigkeit und schließlich profitieren Führungskräfte, wie auch Mitarbeitende von mehr Reflexion und intensiver Entwicklungsbegleitung.

Auf diese Umstellungen zielt der zweite Typ ab, welcher sich auf das „Coaching kooperativer Teamarbeit“ fokussiert. Die Führungskraft „unterstützt und begleitet die Zusammenarbeit in dezentral organisierten, sich flexibel verschiedenen Aufgabenstellungen anpassenden Teams“. Es soll die „interne Diversität“ gefördert werden und „für maximale Transparenz von Information und gemeinsame Reflexion von Zusammenhängen“ gesorgt werden.

»Das zentrale Ziel ist bei diesem Typen, „Synergiepotenziale im und zwischen Unternehmen zu heben“. «

Die Key Insights der Studie:

  • Alle interviewten Führungskräfte halten die Fähigkeit zur professionellen Gestaltung von ergebnisoffenen Prozessen für eine Schlüsselkompetenz.
  • Selbstorganisierende Netzwerke sind das favorisierte Zukunftsmodell.
  • Flexibilität und Diversität sind weitgehend akzeptierte Erfolgsfaktoren.
  • Kooperationsfähigkeit hat Vorrang vor alleiniger Renditefixierung.
  • Persönliches Coaching ist ein unverzichtbares Werkzeug für Führung.
  • Motivation wird an Selbstbestimmung und Wertschätzung gekoppelt.
  • Gesellschaftliche Themen rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit.

Zusammenfassend schreibt die nextpractice Gmbh, Partner der INQA in der Erhebung und Analyse der Studie, sehr treffend:

„Das kollektive Handeln der Führungskräfte formt die Führungskultur aus und gleichermaßen lenkt die Kultur wiederum unbewusst das Handeln einer jeden Führungskraft. So ist es auch zu erklären, dass die Führungskräfte mit sehr großer Mehrheit in den Tiefeninterviews intuitiv kritisieren, dass die Führungspraxis heute gar nicht den eigentlichen Anforderungen an Führung entspricht und die dringende Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels der Führungskultur zum Ausdruck bringen.

‘Aber dann kritisieren sie sich ja selbst’, könnte man jetzt denken. Ja, richtig, genau so stellt sich die Situation dar. Ob also die erstrebenswerten Aspekte von ‚Gute Führung‘ Einzug in die Praxis finden werden, liegt an den handelnden Führungskräften selbst. Und so ist es besonders in Zeiten eines grundlegenden Wandels notwendig, die bestehenden Kulturmuster zu hinterfragen, weil diese möglicherweise notwendige Verhaltensänderungen verhindern. Oft braucht es dazu neue Konzepte mit veränderten Werten, Glaubenssätzen, Regeln und Vereinbarungen, um rechtzeitig neue Wege für den Erfolg von morgen einzuschlagen.“

Die Studie kann hier eingesehen werden.

Neue Aufgaben und Herausforderungen von Führung

Führung muss lernen, kollektive Intelligenz strukturiert zu fördern, weil nicht mehr einzelne schlaue Strateg*innen alles überblicken und die Entscheidungen treffsicher treffen können. Stattdessen werden kollektive Intuition und Musterfindung von entscheidendem Wettbewerbsvorteil sein. Coaches sind in den letzten Jahrzehnten nicht von ungefähr so relevant in Führungskreisen geworden. Managementsysteme verlangen Führungskräften Kennzahlenorientierung, Zielvereinbarung und klare Strategie ab, zugleich sollen Konflikte gelöst werden, Mitarbeiter gebunden und Kultur gelebt werden. Doch in einer VUCA-Welt geraten Führungskräfte mit diesen teils widersprüchlichen Anforderungen an ihre Grenzen.

Wie wollen wir gesellschaftliches Miteinander, Produktion und Dienstleistung gestalten? Spannungsverhältnisse in gesellschaftlichen Werten schlagen sich auch im Führungsalltag wieder. Reputation und Nachhaltigkeit können nicht mehr ein reines Marketingthema bleiben.

»Führung muss dazu beitragen, dass Werte wirksam gelebt werden, damit der langfristige Erfolg der Unternehmung sichergestellt ist. «

Sich nur noch auf Profitabilität zu konzentrieren, ist kein tragfähiges Modell der Wirtschaftlichkeit von Unternehmen mehr. Der Kapitalfluss nimmt spätestens dann rapide ab, wenn Fachkräfte abwandern, gesellschaftliche Werte nicht mehr aufgegriffen werden und somit Ansprüche und Erwartungen der Mitarbeitenden zu dem gelebten Alltag divergieren. Fehlende Mitarbeiterbindung, hohe Fluktuation, Dienst nach Vorschrift, mangelnde Innovation und noch viele weitere Symptome dieser zugrundeliegenden Dynamik stellen sich dann ein. Gute Führung muss sich dessen Gewahr sein, wenn ihr die langfristige Stabilität des Unternehmens am Herzen liegt.

Lösungen von Beratungen, die eine ready to implement solution bereitstellen, können nicht mehr erwartet werden. Das Gesamtsystem kann nur lebensfähig erhalten werden, wenn eine kollaborative Aushandlung stattfindet. In Unternehmen wird sich daher auch zunehmend eine Demokratisierung einstellen. Organisationen stehen im stetigen Wechselspiel zu Gesellschaft und Politik und sollen in erster Linie einen gesellschaftlichen Mehrwert über Dienstleistungen, Produkte, Verwaltung etc. bereitstellen.

Drei Kernkompetenzfelder für die Inhaber*innen von Führungsrollen

  • Führungskompetenz
    – z.B. Mensch führen und weiterentwickeln, Stärken entwickeln und Schwächen erkennen, gute Fehlerkultur fördern, Entscheidungsfindung ermöglichen und ggf. Entscheidungen treffen trotz fehlender Informationen, Umsetzung sicherstellen, psychologisches Wissen über unbewusste Dynamik in Teams und Organisationen, Weitsicht sowie strategisches und unternehmerisches Vorgehen, Stakeholder- und Risikomanagement, Gesellschaftliche Dynamiken aufgreifen und Nachhaltigkeit der Unternehmung sicherstellen, Befähigung von Selbstorganisation im Team, Halt geben und Stabilität vermitteln in Anlehnung an den psychoanalytischen Vorgang des Containments
  • Methodenkompetenz
    – z.B. (digitale) Projektsteuerung und -management, Zieldefinition und -erreichung z.B. mit Hilfe von OKR, Zeitmanagement und Produktivitätsmethoden, Wirksame Facilitation von Meetings und Workshops, rollenbasiertes Arbeiten, Methoden für Konflikte, Coachingmethoden für Führungskräfte, Methoden um für Reflexion und Erkenntnis in Gruppen zu sorgen
  • Sozialkompetenzen
    – z.B. Selbstreflexion, Selbstbewusstsein, Umgang mit eigenen Fehlern und Begrenzungen, Aushalten-Können von Ambiguität, Diskursfähigkeit, Frustrationstoleranz, Lernbereitschaft, Offenheit für diverse Meinungen, Fähigkeit auch schwierige soziale Gegebenheiten professionell zu bewältigen

New Leadership Kompetenzen für Führung in paradoxen Kontexten

Eine Untersuchung  im  Rahmen  des  St.  Galler  „New  Healthy  Leadership  &  Performance“-Programms  an der Universität St. Gallen hat zwei Kompetenzfelder für paradoxe Arbeitskontexte beschrieben.

Grafik in Anlehnung an: Hesse & Bruch. New Leadership Kompetenzen in Personalmagazin 11.21

Besonders die beschriebenen Adaptionskompetenzen werden zunehmend wichtiger, sind jedoch bisher nur gering verbreitet unter den befragten Führungskräften. Wie ist das bei euch? Habt ihr hier noch Nachholbedarf?

Workhacks für den Start in den New Work Führungsalltag

Wenn das nun erstmal alles nach viel klingt, dann geht es auch zum Start ganz einfach. Ihr müsst nicht gleich eure ganze Struktur umstellen oder die große Transformation ausrufen. Oft können schon kleine, aber feine Workhacks einen großen Unterschied in der Zusammenarbeit machen.

  • Selbstorganisation braucht Führung Von Gloger und Rösner

    Boris Gloger,  Dieter Rösner: Selbstorganisation braucht Führung. Die einfachen Geheimnisse agilen Managements
    288 Seiten
    Hanser Verlag, 36,99 Euro
    ISBN: 978-3-446-47269-3

Wie wäre es denn z.B. mit einem Check-In und Check-Out bei Teammeetings? Dafür reichen jeweils 1-2 Minuten pro Person aus. Alle können gut ankommen und auch wieder gut aussteigen. Was vorher gemacht wurde, kann gedanklich hinter sich gelassen werden und das Team kommt auch mental optimal im Meeting an. Falls euch keine Fragen einfallen hilft euch die Tscheck.in-Website weiter.

Regelmäßige Retrospektiven im Team müssen auch nicht lang, können aber hochwirksam sein. Ein niedrigschwelliges Vorgehen ist die Start-Stop-Continue-Retro. Diese eignet sich auch hervorragend für Feedbackgespräche. Hier findet ihr verschiedene Retro-Formate zur weiteren Inspiration.

Eine weitere leicht umsetzbare Veränderung sind sogenannte Walk-to-Talks. Diese könnt ihr für viele verschiedene Anliegen nutzen. Wenn keine Notizen gemacht oder Dokumente im Gespräch genutzt werden müssen, sind die Voraussetzungen für einen Walk-to-Talk erfüllt. Im Grunde handelt es sich dabei um einen Spaziergang, der entweder gemeinsam stattfindet oder per Telefonat. Bewegung, frische Luft und idealerweise etwas Sonne aktivieren den Geist und tun sogar auch noch der Gesundheit gut. Das klingt doch viel besser als jedes (Feedback-)Gespräch vor dem Monitor abzuhalten, oder?

New Work in der Führung
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