»OKRs für die Liebe?!«
Die Methode OKR (Objectives and Key Results) verbreitet sich immer weiter, ist ein wesentlicher Teil von New Work, um Ziele gut miteinander zu vereinbaren, gutes Feedback zu geben und von- und miteinander zu lernen. Wir haben mit Daniel Terner gesprochen, der die Methode im Privaten, für die eigene Beziehung anwendet und mittlerweile auch Workshops für andere Paare anbietet. Das wollten wir genau wissen.
Daniel, Ihr macht “OKRs für Paare”. Jetzt also auch “New Work” im Privaten? Wie seit Ihr auf die Idee gekommen und warum macht Ihr das?
Haha, ne. Nicht new work – eher good old love 😉 Christiane und ich sind seit 12 Jahren verheiratet – und weil wir von Anfang an eine Patchwork-Liebe waren, mussten wir früh viel planen – Jahresplanung war angesagt… und doch hat uns die Zeit immer eingeholt. Dann bin ich vor drei Jahren auf OKRs aufmerksam geworden – und da hats “Zoom” gemacht. Seit fast zwei Jahren nutzen wir das nun als Paar – und haben davon vor allem drei: die bewußtesten Zeiten unsere Ehe, spielerische Kommunikation und unser gemeinsames Projekt, mit dem wir beide andere Paare inspirieren und anstiften können.
Für alle, die sich nicht mit OKRs auskennen: was ist das genau und wie geht das? Und wie geht es vor allem speziell in diesem Kontext? Habt Ihr die Methode dafür verändert?
OKRs haben ihren Namen von den “Objectives & Key Results”. Das Ganze ist ein Steuerungssystem für Unternehmen. Am bekanntesten geworden durch Google (obwohl die’s nicht erfunden haben ;-). Im Kern zerfällt es in zwei Hauptschritte:
- Sich klar werden über die eigene Vision, Mission und Strategie. Und dann darauf aufbauend:
- Ein spielerisches Zielsystem mit dem sich man für jedes Quartal 5 konkrete Zielbilder “ausmalt” (Objectives), und sich jeweils 4 Schlüsselergebnisse (Key Results) vornimmt, die dabei helfen, dass der Wunsch-Zielzustand eintritt. Wöchentliche Check-ins dienen der Inspiration und Motivation – und sie helfen dranzubleiben.
Die für uns beide wichtigsten Charakteristika des Systems sind: A. Der Spielcharakter: Alles dient nicht zur Performance-Messung – sondern stellt einen Gesprächs- und Lernanlass dar. Und B. Alles ist inspirierend und fluffig formuliert: Die Objectives sind Zielbilder, die anziehen – und keine Kennzahlen. Ein Beispiel für ein solches O: “Unser Leben ist ein Versprechen an unsere Enkel.” Was das auslöst, wenn du dir das jede Woche gemeinsam anschaust…
Wir haben das System unverändert ins “Liebesgeschäft” übernommen. Das passte alles: Moderne Ehen sind ja oft vor allem Kommunikation und Logistik. Wie cool, dass dann ausgerechnet Business Methoden die Liebe dahinein zurückbringen.
Allein der Schritt 1 war’s für uns schon wert (und für alle Paare, die wie bisher begleitet haben): Manche sagten: “Wir sind 25 Jahre verheiratet, aber wir haben noch nie darüber nachgedacht, worauf wir gemeinsam zuleben wollen…”
Wir machen zuhause ja “Retrospektiven” – bei jeder Gelegenheit (z.B. nach einem Urlaub). Und wir merken, dass wir dadurch super viel über uns und unsere Beziehung gelernt haben. Macht Ihr auch sowas? Ist das Teil des OKR-Programmes?
Ah cool! Wir probieren auch alles aus. Haben auch schon Lightning Decision Jams in der Großfamilie gemacht 😉
“Retrospektiven”-Charakter haben zwei Elemente bei OKRs: Jede Woche beim Check-in messen wir ja, wo wir stehen – da wird auch (ein wenig) reflektiert. Am krassesten aber am Ende des Quartals (was ja zugleich der Start des nächsten ist). Da geht’s genau darum: Was lernen wir aus dem, was wir erlebt und erreicht haben. Und das feiern wir dann auch!
Euer Programm ist ein 24-Stunden-Format. Wie habt Ihr das konzipiert? Und was passiert genau?
Ja, das war ein Experiment. Wenn wir Firmen beim OKR-Finden begleiten, brauchen wir immer zwei Tage für Vision, Mission und Strategie… Und deshalb – dachten wir erst – brauchen wir das hier auch.
Aber Paare sind eben schneller als Führungsteams – und außerdem sind sie meistens weniger Leute 😉 Also hat das super geklappt. Bis auf ein Paar hatten am Ende alle sogar ihre ersten OKR-Sets für das Quartal 2/2019!
Wir hatten viel Zeit für die Paare zu zweit. Zum Start gab’s einen Impuls zur Theorie und dann ein, zwei Beispiele. Dazu eine Methodenidee, wie man auf seine Vision kommen könnte (Jede und jeder schreibt zehn Begriffe auf, die ihr/ihm wichtig sind. Dann wirft man die als Paar zusammen und dampft sie ein. Aus den verbleibenden vier Begriffen formt man einen Satz.) Heraus kam so krasses Zeug wie: “Eine Welt ohne Egoismus (aka Bullerbü für alle)” oder “Alle weiter durch Ermutigung” – oder die Vision hinter unserem OKR für Paare Ding: “Paare lieben die Welt voll.”. Nach dem Abendessen haben immer zwei Paare untereinander ihre Zwischenstände geteilt. Das war auch sehr wertvoll. Und so war eigentlich am Morgen des zweiten Tags für jedes Paar die Vision klar.
Dann kam die Mission (Welchen Anteil haben wir als Paar daran, dass diese Vision wahr wird? Oder: Was macht niemand, wenn wir’s nicht tun?) – gleiches Vorgehen. Dann die Strategiefelder identifizieren. Und dann – das ist der krasseste Teil – die eigenen Strategie ausformulieren.
Warum krass?
Weil man hier eben den Zustand beschreibt, wie sich die Liebe in 2-3 Jahren anfühlen soll. Nicht was wollen wir getan haben, erledigt haben – sondern wie wollen wir uns fühlen! Außerdem kommt man mit der Strategie nun echt in den Bereich, wo man merkt: Puh! Ich muss glaub was ändern im Leben… Aber das Coole: Die Paare haben dann ja schon 8 Stunden miteinander geredet darüber, die sind schon ganz im Flow.
Dass wir am Schluss sogar noch OKR-konkret wurden, war der echte Kick. Da wurde es so nah und greifbar. Das hat geknistert.
OKRs hören sich ja eigentlich wahnsinnig unromantisch an… Tötet das Ziele vereinbaren und vor allem das sich daran halten müssen nicht die Liebe?
Das kann sehr gut sein – aber dann lässt man sich wahrscheinlich gar nicht erst darauf ein. Die, die das ausprobieren, gehen eher voll on fire. Das waren emotionale Szenen am Ende. Hach 😉
Um gute Ziele miteinander zu vereinbaren und v.a. dann über das Erreichen zu sprechen braucht man doch eine gute Selbstreflexion, Selbstwahrnehmung und eine ziemlich gute (und gewaltfreie…) Kommunikation. Lernt man das alles auch bei Euch? Und/oder was sind Eure Erfahrungen damit?
Ne! Das ist wichtig. Das ist Voraussetzung! Wir setzen da an, wo’s bei Paaren stimmt – sie aber bewusster lieben wollen. Das war schon irre, wenn Du das so fragst. Wie liebevoll und wertschätzend die alle kommunizieren konnten.
Aber beim Stichwort “Gewaltfreie Kommunikation” muss ich lachen. Das hat nämlich Britta erzählt: Nachdem sie anderen berichtet hatte: “Wir gehen da auf so ein Paar-Seminar…”, hatte sie versucht im Vorfeld zu erklären, was das so ist und wieso und überhaupt. Als nach dem dritten Erklärungsversuch aber immer noch fragende Blicke blieben, kam ihr die Idee: “Ich hab dann einfach immer gesagt: Wir gehen auf ein Seminar für gewaltfreie Kommunikation in der Ehe. Da war dann Funkstille ;-)”.
Wie hat sich denn Eure Beziehung verändert seit Ihr OKRs nutzt? Wie war Euer Prozess dabei? Was habt Ihr gelernt?
Boah. Unser Leben ist ein anderes (und es war vorher schon geil): Wir haben neue Jobs, nach 8 Jahren VW-Multivan fahren sind wir seit 130 Tagen autofrei, wir haben OKR für Paare gestartet, wir erleben die Zeit bei unseren älter werdenden Eltern ganz anders, Lego-Spielen mit unserm Junior hat auf einmal einen Sinn und und und. Der Prozess war der oben beschriebene: Klarheit über unsere Vision/Mission/Strategie klar kriegen (Vision: Kein Mensch fühlt sich heimatlos. Mission: In unserer Näher erleben Menschen ihr Umfeld als Heimfeld). Und dann eben quartalsweise Fokus, Sinn, Bestätigung, Scheitern, Lernen. Und dann wieder von vorne.
Ein letztes Beispiel aus der Strategie-Ebene: Wir haben gemerkt, dass für unsere Kinder (11 und 9) und für unsere Eltern (jenseits der 70) die nächsten 2-3 Jahre ganz besondere Jahre sein werden: die Lütten sind noch Kinder (und sollen das sein dürfen), aber werden viel selbständiger in der Zeit. Unsere Oldies sind noch voll selbständig, aber das kann und wird sich wahrscheinlich ändern. Wie wichtig, dass alle drei Generationen in den nächsten drei Jahren viel bewusst miteinander erleben. Das war so ein Augenöffner, der echt jedes Treffen verändert.
Letzter Punkt: Ein Mega-Punkt von OKRs ist, dass man Dinge auch bewusst liegen lässt. Was kein OKR ist, wird auch nicht angefasst. Als wir meine Jobveränderungsfrage bis Ende des Jahres klären wollten, war klar, dass wir bis Ende des Herbstquartals nicht viel diskutieren müssen.
Und sag mal, seid Ihr beide Enfants Terribles?
Im engeren Sinn Mitglieder der Community sind wir (noch) nicht… Im weiteren sehr wohl: Wir verstehen uns als Kinder Gottes. Und der liebt ja alle – und ist besonders da für die nicht ganz so wohlgeraten 😉
Vielen Dank für das Interview, lieber Daniel (mit Christiane).
Und wer das Ganze zu Hause jetzt mal ausprobieren will, der kann mit Hilfe dieser kleinen Anleitung die ersten Schritte gehen. Der Download ist hier.