»Reset Economy«

  • 18.12.2019
  • von christiane kuerschner
Ein Interview mit Esther Konieczny über das Filmprojekt zur Gemeinwohl-Ökonomie ...
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Das Enfant Terrible Esther Konieczny und Filmemacherin Andrea Koeppler arbeiten aktuell an einem Film zur Gemeinwohl-Ökonomie. Wir sprachen mit Esther über ihr Projekt und warum sie es für essentiell wichtig hält, über neue Wirtschaftsmodelle zu sprechen – und Filme zu drehen.

Liebe Esther, das Filmprojekt “Reset Economy“ wurde erst im November 2019 ins Leben gerufen, aber ihr habt bereits einige Drehtage hinter euch. Kannst du uns zunächst etwas dazu erzählen, wer hinter dem Projekt steht?

Initiatorin des Projekts ist Andrea Koeppler. Andrea ist erfahrene Filmemacherin, die schon zahlreiche Dokus für den Bayerischen Rundfunk produziert hat. Für ihren Film „Kampf ums Saatgut – Wer bestimmt, was wir essen?“ wurde sie mit dem Salus-Sonderpreis ausgezeichnet. Ich kenne Andrea schon seit einigen Jahren, denn wir haben gemeinsam mit weiteren Mitstreiter*innen den Verein „Fair für Kinder“ gegründet und letztes Jahr im Dezember eine Online-Petition gegen Kinderarmut ins Leben gerufen.
Meine Rolle in diesem Filmprojekt ist recht vielfältig: Von Crowdfunding über Marketing und Öffentlichkeitsarbeit bis hin zur Recherche unterstütze ich Andrea darin, dass der Film in die Welt kommt. Außerdem haben wir ein wunderbares und kreatives Filmteam an Bord sowie die Künstlerin und Graphikdesignerin Karen Schmidt, die das gesamte Corporate Design mit uns gestaltet hat und bei Social Media unterstützt.

Dein Job ist es eigentlich, Menschen und Unternehmen zu beraten. Wie bist du darauf gekommen, mit deinem Team einen Film zum Thema Gemeinwohlökonomie zu drehen?

Andrea erzählte mir bereits vor einiger Zeit, dass sie einen Film über die Gemeinwohl-Ökonomie plant. Wir waren hierzu immer wieder im Austausch, da ich mich mit der Gemeinwohl-Bewegung in Berlin schon beschäftigt hatte und dieses alternative Wirtschaftsmodell ähnlich interessant fand wie Andrea. Irgendwann wollte Andrea dann nicht mehr warten, bis ein Sender sagt: Ok, mach den Film. Sie rief mich an und fragte: Bist Du dabei? Und ich hatte das Gefühl, dass ich auf diese Frage nur mit „Ja“ antworten kann.
Das war natürlich ein mutiger Schritt und ist jeden Tag eine neue Herausforderung, denn in der Filmbranche kenne ich mich wenig aus.

Andererseits habe ich vielfältige Projekte geleitet und vor zwei Jahren eine Firma mitgegründet. Und solch ein Film ist natürlich auch so was wie eine Gründung. Die Parallelen waren vor allem zu Beginn ganz deutlich: Wir mussten uns erst mal klar werden: Was wollen wir mit diesem Film? Wen wollen wir erreichen? Von welchem Geist sind wir getragen? Im Grunde haben wir das gemacht, was ich mit meinen Kund*innen im Rahmen von Purpose-Prozessen mache. Dann wurden Rollen definiert und verteilt etc., was total wichtig ist, weil wir „remote“ arbeiten: Andrea und Karen sitzen in München, das Kamerateam in Bremen, ich in Berlin. Da muss man sich gut abstimmen und einen guten Workflow finden. Auch das ist mir natürlich aus der Beratung bekannt.

Schließlich: Neben all dem hat der Film natürlich auch inhaltlich viel mit meiner Arbeit zu tun! Wenn wir Innovations- und Transformationsberatung und das Thema „Neues Arbeiten“ als Berater*innen ernst nehmen (und ernst genommen werden wollen), dann sollten wir unbedingt auch ein Bild davon haben, wohin sich diese Gesellschaft entwickelt, wie verantwortungsvolles Wirtschaften gehen kann, welche Alternativen es gibt etc.

Ernst Ulrich von Weizsäcker, Mitglied des Club of Rome und Co-Autor des Berichts „Grenzen des Wachstums“, sagte vor Kurzem: Wir befinden uns in einer „philosophischen Krise“; Prof. Michael J. Sandel spricht davon, dass die Marktgläubigkeit eine „moralische Leere“ erzeugt hat. Damit treffen sie beide für mich den Nerv: Es ist eine Zeit großer Orientierungslosigkeit. Vieles, woran wir geglaubt haben, steht in Frage und ich erlebe viel Ratlosigkeit. Da kann man jammern und den Kopf in den Sand stecken oder die Ärmel hochkrempeln und diese Zeit als eine große Chance betrachten.

Kurzum: Ich denke, dass wir als Berater*innen auch politisch im eigentlichen Wortsinn sein sollten – das heißt, einen Bezug zum Gemeinwesen haben. Wir brauchen eine Haltung und eine klare Vorstellung, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Ansonsten ist Beratung – insbesondere im Innovationsbereich – nur das Jonglieren von tollen Tools.

Wie habt ihr eure Gesprächspartner gefunden?

Recherche, aufmerksam sein, zuhören, hingucken. Das tun Andrea und ich ständig und wir werden auch oft von Menschen in unserem Umfeld, die das Projekt kennen und unterstützen mit spannenden Hinweisen versorgt. Was uns freut: Bisher hat noch kein Interviewpartner, den wir angefragt haben, abgelehnt! Ernst Ulrich von Weizsäcker hat innerhalb weniger Stunden auf Andreas Anfrage reagiert, ebenso Prof. Niko Paech, der sich intensiv mit dem Thema der Postwachstums-Ökonomie auseinandersetzt. Mit Richard David Precht sind wir im Gespräch und just heute hat uns Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Unternehmens Vaude, das seit Jahren gemeinwohlbilanziert ist, zugesagt. Nur den Papst, den haben wir leider (noch) nicht bekommen 😉
Im Ernst: Die positive Resonanz werten wir auch als ein Signal dafür, wie dringend und drängend die Fragen sind, die wir in unserem Film thematisieren.

Wie finanziert ihr den Film und wie organisierst du die Drehtage?

Der Film ist im Moment noch komplett selbst finanziert, d. h. Andrea und ich stehen zu 100 Prozent im finanziellen Risiko. Manchmal macht mich das nervös, aber dann hilft mir der Glaube daran, dass der Film wichtig und richtig ist! Andrea und ich können uns da gegenseitig gut stärken.

In Kürze werden wir ein Crowdfunding starten, um einen Teil der Produktionskosten sicherzustellen. Außerdem sind wir mit Unternehmen im Gespräch, die Interesse bekundet haben, den Film zu unterstützen. Und natürlich versuchen wir auch weiterhin, Sendeanstalten mit ins Boot zu nehmen.
Die Drehtage konnten wir bisher immer gut im Voraus planen. Da Andrea und ich natürlich noch unseren anderen Jobs nachgehen, braucht es schon viel Abstimmung und gute Vorbereitung. Unsere Freizeit geht im Moment komplett für den Film drauf.

Wie schätzt du die Bewegung der Gemeinwohlökonomie ein? Ist es eine Graswurzelbewegung mit Potenzial?

Die GWÖ ist ein alternatives Wirtschaftsmodell und Alternativen haben vor allem immer ein Potenzial: Sie bieten neue Perspektiven, sie regen zum Nachdenken an, stellen Gewohnheiten und Dogmen in Frage. Die Tatsache, dass es allein in Deutschland bereits ca. 600 gemeinwohlbilanzierte Unternehmen gibt – und zwar vom Hersteller von Bio-Lebensmitteln über Sportausrüster bis hin zu einer Bank, einem Krankenversicherer und mehreren Gemeinden – zeigt, dass das Konzept kein exklusives ist und in der Anwendung funktioniert. Auch wenn eine Gerüstbau-Firma ganz andere Herausforderungen hat als ein Unternehmen, das berufliche Weiterbildungsprogramme anbietet.

Die GWÖ zeigt auch, dass die Orientierung an ethischen Prinzipien durchaus dazu führt, dass Unternehmen weiterhin wirtschaftlich erfolgreich sind. Sonnentor ist hier ein gutes Beispiel: Der Kräuterspezialist aus Österreich ist seit 2011 gemeinwohlbilanziert. Im Jahr 2018/19 hat Sonnentor das umsatzstärkste Ergebnis geschafft.
Das Problem in Deutschland ist, dass bei jedem alternativen Konzept, bei jeder (möglichen) Veränderung, die thematisiert wird, dir sofort reflexartig der Verlust von Arbeitsplätzen um die Ohren geworfen wird. Das tötet jede Diskussion… man denke nur an die Einführung des Mindestlohns! Welche Schreckensszenarien damals bedient wurden… Deshalb ist es gut, dass es eine Bewegung wie die GWÖ „von unten“ gibt, die zunehmend stark wird. Es ist auch gut, dass in Berlin vor einem Monat die „Stiftung Verantwortungseigentum“ gegründet wurde, die eine Debatte über die Frage von Eigentümerschaft lostritt, was auch in der Politik wahrgenommen wird.

Es gibt viele Initiativen zur Zeit. Der Klimawandel-Debatte ist zu verdanken, dass in Unternehmen immer häufiger über die Bedeutung der Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen für das eigene Handeln gesprochen wird. Die SDGs weisen im Übrigen eine hohe Übereinstimmung mit den Kriterien der GWÖ vor, wie eine Studie jüngst belegte.
Doch bei allen zivilgesellschaftlichen Anstrengungen bleibt es aus meiner Perspektive nötig, dass auch die Politik regulatorisch eingreift und eine klare Haltung einnimmt, was „soziale Marktwirtschaft“ im 21. Jahrhundert eigentlich bedeutet. Ohne politischen Hebel und „nur“ über Selbstverpflichtung kann ich mir einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft kaum vorstellen. Es braucht beides – zumal die Zeit drängt!

Um nochmal auf die GWÖ und ihr Potenzial zurückzukommen: Das Konzept gibt es nun seit fast 10 Jahren, es wurde– sogar weltweit! – von hunderten Unternehmen und Organisationen erprobt, d. h. es gibt unglaublich viel Erfahrungswissen. Unternehmen, die GWÖ-bilanziert sind und mit denen ich gesprochen haben, haben sich oft unterschiedliche Modelle angesehen und kamen immer zu dem Schluss, dass keines so detailliert und fundiert ist wie dieses.

Kannst du uns schon etwas zu den Ergebnissen der vielen Interviews und Gespräche sagen? Welches Fazit zieht ihr bis hierher?

Mein persönliches Fazit bisher ist, dass es eine große Ratlosigkeit einerseits und ein starkes Bedürfnis nach einer Vision andererseits gibt, etwas, woran die Menschen wieder glauben können. Bei der letzten Bundestagswahl hatte ich das Gefühl, dass Deutschland in einem „Wohlstandskoma“ liegt. Inzwischen wird – zum Glück! – immer deutlicher, dass unser Wohlstand auf Sand gebaut ist und dass er am Kern dessen, was uns ausmacht, nämlich unser „Menschsein“, vorbeigeht.

Für mich persönlich ist es unglaublich wohltuend und beruhigend, durch den Film mit so vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, die sich engagieren, sich einbringen, die eine Vision haben. Das tun sie nicht, weil sie dafür Geld und Ruhm ernten – die meisten tun es ohnehin ehrenamtlich – sondern weil sie das spüren, was der „Konsumkapitalismus“ zerstört hat: Das Gefühl in Verbindung zu sein, gute und gelingende Beziehungen zu führen. Der ganze materielle Wahnsinn verstärkt unser Gefühl von „Abgetrenntsein“. Doch Abgetrenntsein ist die „Quelle aller Angst“, ein Gefühl, das uns lähmt, wie Erich Fromm in der „Kunst des Liebens“ anschaulich beschreibt.

Wir sind falsch abgebogen und wir haben jetzt die Chance, uns neu auszurichten und ein Bild davon zu entwerfen, in welcher Gesellschaft und in welcher Welt wir leben wollen. Und das sind wir den nachfolgenden Generationen schuldig!

Wann und wo können wir alle den Film sehen?

Wir planen, mit dem Film im Herbst 2020 raus zu kommen. Das ist ein ambitionierter Zeitplan, aber im Moment sind wir gut in unserer Planung unterwegs. Wo ihr den Film sehen könnt? Na, wir hoffen doch im Kino!

Ist Reset Economy ein reines Filmprojekt oder wird es eine Fortsetzung geben?

Oh, wir haben schon eine lange Liste von Ideen für weitere Filme …aber jetzt wollen wir erst mal dieses Projekt gut wuppen!


Bereits während ihres Studiums sammelte Esther Konieczny Erfahrungen in verschiedenen Redaktionen und bei der Produktion von Kurz-Dokus. Den Wunsch, kreativ zu arbeiten, gemeinsam mit inspirierenden Menschen Ideen in die Welt zu bringen und Themen anzustoßen, verfolgt sie heute in ihrer Tätigkeit als Innovationsberaterin mit den Schwerpunkten „Nachhaltigkeit und Transformation“ und „Neues Arbeiten“. Esther ist außerdem Mitgründerin des Vereins „Fair für Kinder“, Aktivistin gegen Kinderarmut und geht mit ihrer Tochter gerne auf Demos. 

Mehr Infos zum Filmprojekt erhaltet ihr hier.

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