»Schule + Wirtschaft«

  • 21.04.2021
  • von Gastautor*in
Romy Möller zeigt, was Schulen und Organisationen gemeinsam haben – und das ist eine Menge. Daraus ergeben sich viele Optionen, mit denen wir uns auf den Weg zur transformativen Schule machen können ...
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oder: Veränderung von Bildung – wie geht es nachhaltig?

Jahrelang, wenn nicht sogar jahrzehntelang, wird am deutschen Schulsystem gemeckert: zu veraltet, zu starr, zu ausgrenzend. – Schule bereitet die Kinder nicht auf das Leben von morgen vor, vielmehr vermittelt Schule Wissen, was in der zukünftigen Welt größtenteils nicht mehr relevant sein wird.

Und so doktern wir rum – wir versuchen neue, kompetenzorientiere Bildungspläne aufzusetzen, Inklusion zu verordnen und die Digitalisierung durch Fördergelder voranzutreiben. – Wenn wir aber genau hinschauen, müssen wir uns wohl selbst das Prädikat „gescheitert“ geben.

Gerade jetzt in der Pandemie-Zeit wird noch einmal deutlich, dass die Lösungen, die vor allem die Mängel in den Blick genommen haben, keine nachhaltige Transformation angestoßen haben.

Was braucht es aber, um Schule zu verändern? Wo können wir ansetzen und wie können wir unterstützen?

Vielen Lösungen haben bisher auf der Ebene der Strukturen und Prozesse angesetzt. Dabei braucht es nach dem Integralen Modell von Ken Wilber für Transformation immer zwei Dimensionen – die innere und die äußere. Es genügt nicht, nur neue Verfahren zu definieren, Ressourcen zur Verfügung zu stellen und Strukturen zu verändern. Ebenso müssen auch Kulturen und Werthaltungen im System mitgedacht werden.

Abb.1: Dimensionen von Transformation ( © Romy Möller)

Digitalisierung – mehr als nur neue Technik

Machen wir es einmal am Beispiel der Digitalisierung konkret. Viele Schulen wurden mit Technik, z. B. interaktiven Whiteboards ausgestellt, und gleichzeitig versuchte man auf der politischen Ebene durch Einforderungen von Medienkonzepten und Medienkompetenzen die Auseinandersetzung an Schulen damit zu fördern.

Wie wir jetzt aber in der Pandemiezeit sehen, sind leider die meisten Whiteboards in den Schulen verstaubt und die Digitalisierung immer noch weit hinter dem, was möglich wäre.

Was wurde also vergessen? – In meinen Augen hat man nicht die innere Dimension in den Blick genommen: Wie können wir eine Kultur des Ausprobierens schaffen? Wie können wir Lehrkräfte ermutigen, Fehler zu machen? Wie können wir Kooperation im Kollegium stärken, damit neue Prozesse auch integriert werden? – Denn natürlich fordert die Digitalisierung den Lehrkräften einiges ab. Sie müssen sich mit neuen Dingen auseinandersetzen, sich auf unbekanntes Terrain bewegen, so dass sie vielleicht zeitweise auch mit Überforderungen konfrontiert sind. Sie müssen Lernen neu verstehen und sich dabei als Lehrkraft neu definieren. All dies verlangt Vertrauen, Kooperation und Mut.

Neue Kulturen an Schulen schaffen

Wie können wir also diese Kultur an Schulen fördern?

Eine Antwort könnte in der Führung liegen. Führungskräfte können in ihrer Rolle inspirieren, ermutigen und leiten, denn sie sind nicht nur Manager, sondern ebenso auch Coach und Leader. Dafür braucht es aber vielleicht ein anderes Verständnis von Führung – eine Führung, die auf Vertrauen, Werte und Partizipation aufbaut.

Vor allem wird diese Art von Führung immer bedeutsamer, wenn wir uns die Herausforderungen der Zukunft anschauen. Unsere Welt wird komplexer, unvorhersehbarer und unsicherer. Gerade jetzt in der Corona-Pandemie spüren wir dies.

Wie können wir damit aber umgehen? Wie können wir auf die täglichen Herausforderungen reagieren – oder noch besser gesagt: wie können wir nicht nur reagieren, sondern auch agieren? Wie können wir diese verändernde Welt als Chance sehen und gemeinsam die Zukunft gestalten?

Diese Fragen beschäftigen uns als Gesellschaft schon länger, nicht nur im Bereich Schule, sondern auch in der Wirtschaft. Trends wie New Work & Co. versuchen darauf Antworten zu finden, indem sie Selbstorganisation, Purpose, Ganzheit und Partizipation fordern. – Weg von Kontrolle und Machtkonzentration, hin zum kollektiven Wissen und gemeinschaftlicher Ideenentwicklung, um neue Wege zu gehen.

Und was wäre, wenn man gemeinschaftliche Ideenentwicklung wirklich groß denkt? Wenn man die Antworten auf diese Fragen nicht nur im System Schule oder im System Wirtschaft sucht, sondern systemübergreifend Impulse entstehen lässt.

Wie Schulen und Unternehmen von- und miteinander lernen können

Können sie das wirklich? Was haben denn Schulen und Unternehmen überhaupt gemeinsam? – eine ganze Menge. Meist haben wir bei Schule den Lernort für Schüer*innen im Kopf, weil wir es so selbst erlebt haben. Schule ist aber nicht nur ein Lernort, sondern auch ein Arbeitsort für Lehrkräfte und nicht-pädagogisches Personal. In diesem Verständnis ist sie genauso wie ein Unternehmen eine lernende Organisation.

Abb.2: Strukturen in Schule und Unternehmen (© Romy Möller)

Wenn wir somit Schule als Arbeitsorganisation verstehen, können wir die Perspektive auf die Themen, die neben der Gestaltung von Lernprozessen für Schulen relevant sind, vergrößern.

Somit ergeben sich zum Beispiel folgende Themen: 

  • Welche Führungskultur gibt es? Welche Führungsprinzipien gibt es?
  • Wie sieht die Teamarbeit aus? Welche Teamkultur herrscht in der Organisation?
  • Wodurch ist die Kommunikationskultur gekennzeichnet?
  • Welche Strukturen und Prozesse der Arbeitsorganisation gibt es? Wie hoch ist die Transparenz?
  • Welche Vision leitet die Organisationsentwicklung? Wie ist die Identifikation mit dieser?

Genau diese Fragen beschäftigen nicht nur Schulen, sondern auch Unternehmen – und vor allem die Führungskräfte. Es zeigt sich also eine große Schnittmenge – ein Fundament an Gemeinsamkeiten, über das sich die beiden Systeme austauschen und auf dem sie aufbauen können.

Gleichzeitig zeigen sich zwischen Schulen und Unternehmen auch wesentliche Unterschiede, wie zum Beispiel:

  • Bei der Weiterentwicklung der Einzelschule liegt bisher der ökonomische Aspekt nicht so sehr im Fokus wie bei Unternehmen. Jedoch zeigen auch Ansätze von z. B. „Eigenverantwortliche Schule“ oder „Selbstverantwortliche Schule“, dass die Budgetverantwortung eine zunehmende Rolle in der Schulleitungstätigkeit einnimmt. Gleichzeitig messen sich immer mehr Unternehmen nicht ausschließlich am Profit, sondern auch an sozialen und nachhaltigen Aspekten.
  • Die Rollen und die Identifikation der Mitarbeiter*innen in den Systemen sind teilweise unterschiedlich. Momentan zeigt sich bei Lehrkräften noch stark das Bedürfnis nach pädagogischer Freiheit und damit vor allem auch ein Einzelkämpfertum. In Unternehmen stehen hier meist die Teamleistung, die Teamziele und die Kooperation im Vordergrund. Wobei ich dies an der Stelle auch nicht verallgemeinern möchte, da vor allem durch die Entwicklung von Ganztags- und Gemeinschaftsschulen die Kooperation und Teamarbeit an Schulen zugenommen haben.
  • Ebenso ist ein Unterschied bezüglich der Verantwortlichkeiten auf den Führungsebenen zu sehen. In Unternehmen ist die disziplinarische Verantwortung meist schon bei den Team- und Abteilungsleiter*innen verortet. In der Schule hat diese meist die Schulleitung und dann vor allem auch in der Absprache mit dem Schulamt. Somit entsteht ein unterschiedliches Hierarchiegefüge mit anderen Führungsinstrumenten. Wobei ich hier auch betonen möchte, dass Unternehmen in den letzten Jahren neue Führungsansätze und Hierarchiemodelle aufgebaut haben.

Jetzt nochmal zu der Frage: Können Schulen und Unternehmen von- und miteinander lernen?

Ich bin davon überzeugt, denn durch die große Überschneidung an Führungsthemen und der gleichzeitigen Heterogenität der Systeme entsteht ein kreatives und innovatives Lernumfeld, denn Lernen geschieht meistens durch Irritation, durch Verlassen der eigenen Komfortzone und durch einen Perspektivwechsel. Genau das kann erreicht werden, wenn Führungskräfte aus Schulen und Unternehmen mehr in einen Austausch auf Augenhöhe gelangen.

Zudem stecken in den Systemen unterschiedliche Potenziale. Lehrkräfte und Schulleiter*innen sind vor allem Experten für Lern- und Entwicklungsprozesse und Teamdynamiken. Führungskräfte aus den Unternehmen bringen dagegen meist eine große Expertise für neue Arbeitsmethoden und Innovationsprozesse mit.

Wie würde also ein Match aus diesem Expertentum aussehen, wenn wirklich ein Erfahrungs- und Wissensaustausch über Systemgrenzen hinweg stattfinden könnte?

Ich glaube, da könnte sehr viel entstehen.

Und zu guter Letzt: Lernen hört nicht an dem Schultor auf – Lernen findet überall statt – in Schulen, in Unternehmen, zu Hause und in der Öffentlichkeit. Daher ist es für uns alle spannend und interessant, wie wir Lernen und Weiterentwickeln gestalten können, damit die Menschen ihre Potentiale entfalten können. Um hier gemeinsam auch weiterzudenken, ist in meinen Augen vor allem die persönliche Beziehung wichtig, denn auch das wissen wir bereits aus den Erfahrungen aus der Schule – Lernen bedeutet nicht nur Inhalt, vielmehr ist die Beziehung entscheidend.

Aus diesen Gedanken heraus habe ich mit KollegInnen gemeinsam das neue Leadership-Programm „zusammenWachsen“ für (angehende) Führungskräfte und Verantwortungsträger aus Schule & Wirtschaft entwickelt, so dass sich beide Systeme begegnen und miteinander wachsen können. Der nächste Start ist im September 2021. Mehr Informationen zum Konzept und zum Ablauf findet ihr hier.

Dieser Beitrag von Romy Möller erschien zuerst hier. Vielen Dank für’s Teilen.


transformative bildungRomy Möller ist Pädagogin, Coach und Prozessbegleiterin. Ihr liegt es am Herzen, eine Brücke zwischen Schule und Wirtschaft zu bauen, um Bildung und Lernen zu transformieren. Ihr geht es darum, den Menschen zu stärken, so dass jede*r eigene Potentiale erleben und leben kann, damit wir gemeinsam eine gute Zukunft gestalten.

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