»wir tragen selbst verantwortung«

  • 16.12.2020
  • von Marion King
Über die Zukunft der Arbeit und was jede*r Einzelne tun kann, um dort gut anzukommen ...
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Machen wir uns nichts vor: Die „Zukunft der Arbeit” ist doch schon da. Leider verharrt sie in Methoden, Praktiken und vor allem der Haltung des industriellen Zeitalters. Jetzt, mit all den Herausforderungen neuer Technologien, mit Big Data und Künstlicher Intelligenz, mit Themen wie Globalisierung, Klimawandel oder aktuell der Corona-Krise, wäre die Zeit, eine neue Art des Arbeitens oder sogar des Wirtschaftens zu gestalten – und zwar durch uns alle und jede*n Einzelne*n von uns. Aber wie kann das gehen, wenn Alt-Gewohntes immer weniger funktioniert, immer mehr Unsicherheit herrscht, wenn uns das „Außen” nicht genügend Richtung und Sicherheit gibt? In VUCA- Zeiten („Volatile, Uncertain, Complex, Ambiguous“) wie diesen braucht es Selbstverantwortung, damit jede*r von uns seinen*ihren eigenen Wirkkreis gut gestalten kann.

„Zukunft der Arbeit“ – jetzt schon?

Was soll das sein, die „Zukunft der Arbeit“? Sind wir nicht längst in einem neuen „Arbeitsraum“ angekommen – schleichend, unbewusst und ungeübt? Und was wissen wir schon über die Zukunft? Geht es um neue Technologien? Oder vielleicht auch um ein neues Bewusstsein für Arbeit, für Zeit und Leben, wie es zum Beispiel Frithjof Bergmann schon in den 1980ern mit seinem „Zentrum für Neue Arbeit“ und seinem Buch „Neue Arbeit, Neue Kultur“ gefordert hat?

Was wird denn anders sein?

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) hat Szenarien der Zukunft von Arbeit skizziert, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte setzen (World Economic Forum, 2018). Allen gemein ist, dass sie unser bisheriges Verständnis von Arbeit in Frage stellen:

1) Arbeit wird technologisierter

Produktion, Vertrieb, Datenerfassung oder Datenverarbeitung: Die einfachen Arbeiten werden in großen Teilen automatisiert. Übrig bleiben Tätigkeiten wie die kreative Entwicklung und die Überwachung dieser Automatisierung.

Die WEF-Studie sieht folgend einen großen Bedarf an Datenanalysten und Wissenschaftlern, Software- und Anwendungsentwicklern sowie E-Commerce- und Social-Media-Spezialisten. Es wird aber auch weiterhin einen Bedarf an „menschlichen Fähigkeiten“ geben, beispielsweise in Verkaufs- und Marketingberufen; Innovationsmanager und Kundendienstmitarbeiter werden laut Studie nachgefragt sein.

Diese Entwicklung lässt sich auch positiv betrachten, denn die weniger sinnvollen Routine-Tätigkeiten fallen weg und machen Platz für sinnvolles Arbeiten. Dennoch: Es könnte auch unser Job davon betroffen sein… Und wir wissen nicht, was die Technologie-Labore sonst noch für uns bereithalten.

2) Arbeitsleben werden ungerader

Wir befinden uns aktuell in einer Übergangszeit: Für Menschen, die kurz vor dem Renteneintritt stehen, war ein geradliniger Ausbildungs- und Berufsweg das Ideal.

Für die junge Generation und auch die Menschen, die in diesen Jahren mitten im Berufsleben stehen, ist der lückenlose und stringente Lebenslauf jedoch nicht mehr die Normalität. Die Einen möchten dies gar nicht und leben vielleicht als digitale Nomaden, die Anderen haben diesen geradlinigen Lebenslauf vielleicht als Ideal, können ihn aber nicht erreichen.

Gründe dafür können fehlende Arbeitsplätze in ländlichen Regionen oder zusammenbrechende Berufszweige sein. Durch die ständige Weiterentwicklung von Technologien entstehen neue Arbeitsbereiche, die in der Summe die Zahl der wegfallenden Tätigkeiten übersteigen. Das macht es nötig, dass Menschen sich beruflich stetig weiterentwickeln und neue Positionen einnehmen.

„Die Unternehmen werden vermehrt auf auftragsbezogen arbeitende Fachfirmen zurückgreifen, flexiblere Arbeitsplatzvereinbarungen für die Mitarbeiter finden, Telearbeiter einsetzen und die Standorte ihrer Organisation ändern müssen, um den Zugang zu Talenten gewährleisten zu können“, heißt es in der Pressemitteilung zur WEF-Studie (World Economic Forum, 2018). Den klassischen Lebenslauf und damit auch die Sicherheit von Anstellungen auf Lebenszeit wird es auf jeden Fall nicht mehr geben.

3) Arbeit bekommt einen neuen Stellenwert

Nicht bezahlte Arbeit wie die Pflege von Angehörigen und Kindern wird Anerkennung finden (müssen), da sie in einer alternden Gesellschaft einen immer wichtigeren Stellenwert bekommt.

Mit der Delokalisierung der Arbeit in Form von Home-Office in Unternehmensstrukturen und freiberuflichen Tätigkeiten wird das Unternehmensgebäude, in das wir morgens eintreten und uns von einem Privatmenschen in einen Arbeitnehmer verwandeln, an Bedeutung verlieren. Und es ist noch gar nicht zu ermessen, wie der Klimawandel – das Thema der kommenden Jahrzehnte – sich auch auf die Arbeit auswirken wird: Können wir uns die Millionen Pendler, die morgens und abends mit Fahrzeugen in und aus den Städten fahren, erlauben? Müssen und dürfen wir mehr unbezahlte Zeit einfordern, in der wir unsere Lebensmittel selbst anbauen, um uns regional und ökologisch verträglich ernähren zu können?

Das Bedingungslose Grundeinkommen könnte z.B. eine Lösung für eine Gesellschaft sein, in der Maschinen ein Gros an Arbeiten erledigen und nicht genügend (bezahlte) Arbeitsplätze für minder qualifizierte Menschen vorhanden sind.

Der Mensch wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter vor mannigfaltige Herausforderungen gestellt sein: globale Wirtschaft, neue Technologien, der demographische Wandel, Rassismus, Terrorismus und zuallererst der Klimawandel. Wir werden einen Weg finden müssen, die Arbeit sinnvoll in einen neuen Lebensstil einzufügen und die Bedeutung von (bezahlter) Arbeit neu zu bewerten.

Machen wir uns nichts vor: Die Veränderung ist bereits da und wir müssen sie als Chance begreifen, unser Leben und die Gesellschaft neu zu betrachten und positiv zu gestalten. Was alle Zukunftsszenarien eint, ist die Tatsache, dass eine neue Art des Arbeitens entstehen wird – und damit vor allem könnte. Das heißt: von uns gestaltet werden könnte!

Wo ist das Problem?

Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ist die Arbeit zu etwas Externem geworden: Wir wählen vielleicht unseren Beruf, was wir aber in unseren 40 bis 50 Berufsjahren wirklich tun, steht gefühlt außerhalb unseres Wirkungskreises.

Wir haben unsere Lebensgestaltung an eine „Außen-Welt“ abgegeben, haben in äußeren Zwängen und Verpflichtungen und mit einem „Das ist eben so!“ gelebt. Wir wussten, was wir zu tun hatten, wer der „Gegner“ ist und was der Preis der Lohnarbeit war.

Zuvor war Arbeit ein Teil des Lebenslaufes: Bauern verdingten sich auf ihren Höfen, sie arbeiteten, um ihre eigenen Produkte zu verkaufen und um sich von Angebautem ernähren zu können. Der Schreiner, der Tischler, die Magd oder der Wirt: Die Arbeit war ein Stück Identität, die sich nach dem Tageswerk nicht ablegen ließ.

Nun bescheren uns die Digitalisierung und Globalisierung eine sehr unübersichtliche Welt. Wie die Philosophin Natalie Knapp sagt: „Komplexität ist ein Zustand, in dem sich die Fragen verändern, während wir uns damit beschäftigen“ (Knapp, 2013, S.62). Auf nichts ist mehr Verlass. Die Corona-Krise zeigt uns das gerade massiv.

Leider stehen unsere Herausforderungen im totalen Widerspruch zu dem, was Menschen eigentlich brauchen: Sicherheit. Eines unserer Grundbedürfnisse, ein altes archaisches Überbleibsel unserer Ur-Väter und -Mütter.

Die industrielle Zeit mit ihren Organigrammen, Aufbau- und Ablauf-Organisationen und Karrierepfaden, mit Gantt-Charts und Wasserfall-Prozessen hat uns diese Sicherheit lange Jahre vorgegaukelt. Zumindest eine vermeintliche Sicherheit, die es so schon lange nicht mehr gibt und nie mehr geben wird.

Wir sind darauf getrimmt und geschult, mit komplizierten Anforderungen umzugehen, bei denen Ursache und Wirkung in direktem Zusammenhang stehen. Unsere Realität ist davon mittlerweile weit entfernt. Das Cynefin-Framework von David John Snowden (2000) erklärt uns sehr gut den Unterschied zwischen komplizierten, komplexen, einfachen und chaotischen Systemen.

Mit all unseren Herausforderun- gen, die auf unsere Arbeitswelt einwirken, befinden wir uns in einer komplexen Situation. Und hier gilt laut Snowden (2000): erst einmal zu machen, auszuprobieren, zu beobachten und dann wieder darauf zu reagieren. Also immer wieder einen ersten guten Schritt zu gehen, zu lernen und für den nächsten Schritt neu zu entscheiden. Die agilen oder nutzerzentrierten Methoden machen es uns vor.

Was also tun?

Was also tun, wenn die Sicherheit im Äußeren immer mehr wegfällt? Wenn kein Verlass mehr auf das ist, was lange verlässlich und konstant war? Wenn es nicht mehr die eine Antwort gibt? Wie können wir (uns) in komplexen Zeiten gut durchs Leben navigieren?

Für diese iterativen und emergenten Prozesse müssen wir uns diese Sicherheit selbst geben. Wir müssen die Sicherheit ins „Innere“ verlagern und unserem Selbst Stabilität geben. Wir können dieser Unsicherheit nur mit uneingeschränkter Selbstverantwortung begegnen.

Letztlich geht es darum, im Sinne der Transaktionsanalyse (TA), „er-wachsen“ zu sein, sich im Denken, Fühlen und Verhalten angemessen voll und ganz auf das Hier und Jetzt zu beziehen. Die TA beschreibt dieses „Erwachsen-Sein“ damit, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, welche alten, vor allem aus der Kindheit stammenden und in der Regel unbewusst ablaufenden Bewältigungsstrategien uns leiten und uns in belastenden und schwierigen Situationen in alte Verhaltensmuster zurückfallen lassen (Stewart & Joines, 1990).

Die Frage an sich selbst ist dann: „War meine Verhaltensweise, oder war mein Denken und Fühlen angemessen für einen Erwachsenen, der auf das eingeht, was in dem Augenblick gerade um ihn herum passiert?“ (Stewart & Joines, 1990, S.38). Und zwar wirklich wirklich…

Was sind Aspekte der Selbstverantwortung?

Die Entwicklung der Selbstverantwortung hat folgende Aspekte:

Selbstwahrnehmung: Im ersten Schritt geht es darum, sich gut zu kennen, ein Bewusstsein von und über sich zu entwickeln. Es geht darum als „ganzer Mensch“ auch im Büro zu sein. Seine Gefühle zu erkennen und ernst zu nehmen, seine Motivation, seine Muster, sein Handeln zu reflektieren und einschätzen zu können. Also zu wissen, wer ich eigentlich bin. Und zu wissen, was ich will und nicht will.

Selbstausdruck: Da wir nicht alleine auf dieser Welt sind, ist es wichtig, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche auch äußern zu können. Klar und verständlich zu sein in der eigenen Kommunikation. Die getroffenen Entscheidungen gut zu vertreten. Konsequent und konsistent zu handeln.

Selbstentwicklung: Lebenslanges Lernen vor allem in Form von erfahrungsbasiertem Lernen, Ausprobieren und Weiterentwickeln wird in der Zukunft von Arbeit wesentlich sein. Das bedeutet auch, zu erkennen und selbst zu entscheiden, was und wie man lernen sollte und will. Und es bedeutet Selbstlernkompetenz und kritisches Denken als zwei der wesentlichen Zukunftskompetenzen anzuerkennen.

Selbstmanagement: Und letztlich ist Resilienz wichtig. Es geht darum, das eigene Wohlbefinden ernst zu nehmen, um einen guten Umgang mit den Ressourcen und der Zeit. Zu spüren und zu wissen, was einem gut tut und ggfs. einen Ausgleich zu schaffen.

Selbstverantwortung ist nicht Egoismus

Selbstverantwortung bedeutet im Umkehrschluss aber nicht Egoismus und Abgrenzung. Selbstver-ANTWORT-ung bedeutet nicht nur, mir selbst Antworten geben zu können. Es bedeutet auch, dass ich diese Antworten in Bezug auf meinen Kontext für mein unmittelbares Leben geben muss.

Es geht immer auch um meine soziale Verantwortung. Die höchste Stufe unserer „Emotionalen Bewusstheit“ ist nach Claude Steiner (1997) die „Interaktivität“, das Verständnis für die Wechselwirkungen von Gefühlen verschiedener Menschen. Es geht darum, den eigenen Wirkkreis zu gestalten.

Gute Beziehungen lassen sich aber nur führen, wenn wir selbst stabil sind. Wenn wir klar mit uns sind, können wir auch klar mit anderen Menschen sein und in einen guten Diskurs gehen. Selbstverantwortung gibt Orientierung – auch für die anderen.

Diese Welt wird nicht weniger komplex und unberechenbar; vielleicht ist die „Zukunft der Arbeit“ für uns sogar geradezu unvorstellbar, mit Bots, Robotern und Drohnen.

Wenn wir aber alle das Prinzip der Selbstverantwortung verfolgen, können wir solidarisch, als Gemeinschaft verantwortlich miteinander leben und könnten gemeinsam eine, unsere wünschenswerte Zukunft gestalten.


Dieser Beitrag von Marion King und Christiane Kürschner erschien zuerst im Sonderband „Zukunft der Arbeit“, HR Consulting Review, Band 12, 2020, herausgegeben von Antonia Sureth und Jens Nachtwei. Hier haben wir mit den Organisationspsychologen über ihre Forschung und die Zukunft der Arbeit gesprochen.

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