»was auf den tisch kommt«

  • 17.06.2020
  • von christiane kuerschner
Ein Interview mit den Food Kompanions zur nachhaltigen Wertschöpfung von Nahrung und Strategien für zukunftsfähige Lebensmittelproduzenten ...
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Essen ist ästhetisch, Essen ist Leben-Mittel, Essen ist Kulturgeschichte und unsere Zukunft. Olga Graf, Stephanie Ries und Anastasia Eggers gründeten Food Kompanions, um das Thema „Lebensmittel“ transdisziplinär zu bearbeiten und ein neues, zukunftsfähiges Verständnis von Lebensmittelwertschöpfung zu vermitteln. Wir sprachen mit den Food Kompanions.

Euer Thema sind die Lebensmittel, soviel ist klar. Könnt ihr kurz erklären, was ihr als Food Kompanions und erklärte Foodpreneure anbietet?

Wir bieten qualitative Forschung, Design und Beratung quer durch die Lebensmittelwertschöpfung. Qualitative Forschung bedeutet, dass wir im jeweiligen Lebensmittelkontext vor Ort das Geschehen beobachten oder tiefgreifende Interviews führen. Es geht also um die Qualität der Erkenntnisse, nicht um die Quantität der Aussagen. Bei Design steckt dahinter, dass wir die Food Systeme als einen Gestaltungsraum betrachten und Designmethoden anwenden, um Strukturen zu transformieren, aber auch im Rahmen unserer Projekte konkret in die Gestaltung zu gehen mit Grafikdesign, Produktdesign, Service Design, Storytelling, Installationen und Zukunftsszenarien. Beratung können wir zum einen durch die Erkenntnisse unserer Forschung in bestimmten Branchen anbieten und zum anderen, wenn es darum geht, eine Idee oder ein Konzept tatsächlich real werden zu lassen. 

Wenn man viel forscht und beobachtet, begegnen einem extrem viele Handlungsfelder, in denen man unternehmerisch und gestalterisch tätig werden könnte. Hier beraten wir auch unsere Partner*innen auf strategisch-unternehmerischer Ebene. Oft müssen wir aber auch abwägen, wie sehr wir uns selber einem Projekt verschreiben, noch ein Unternehmen gründen oder unser Leistungsangebot anpassen wollen. Daher kommt unsere Identifikation mit Foodpreneurship. 

Wie seid ihr beiden dazu gekommen, Foodpreneure zu werden? Was war die Motivation bzw. euer beruflicher Background?

Zu zweit haben wir Food Kompanions initiiert und gegründet dann zu dritt. Und alle drei haben wir eine Leidenschaft für Lebensmittel, von Produktion bis zum Essen. Nur auf sehr unterschiedliche Weise. Asja ist Designerin und begeistert sich für Herstellungsprozesse von Lebensmitteln sowie deren kulturellen Hintergründe. Essen ist ihre Inspirationsquelle für Gestaltung.

Steffi ist ein absoluter Naturmensch. Für sie ist das Lebensmittelsystem der größte Hebel die Natur zu bewahren. Entsprechend ist sie leidenschaftlich eher am Anfang der Wertschöpfung verankert, bei der Landnutzung. Olga wäre wahrscheinlich Bäckerin oder Köchin, wenn sie nicht bei Food Kompanions wäre. Sie ist unsere Netzwerkerin und hat ihr Herz beim Lebensmittelhandwerk, bei dem es ihr um den Erhalt von Traditionen und Kulturgut geht. Jede*r, die/der also neu ins Team kommt, braucht auch eine Leidenschaft zum Essen. Alles andere kann man lernen. 

Das hat uns auch zusammengebracht. Unsere Leidenschaft für das Thema Essen vereint uns, gleichzeitig sind unsere Kompetenzen und Schwerpunkte unterschiedlich und ergänzen sich. Hinzu kam, dass wir bei der Arbeit nicht auf Leidenschaft verzichten und uns eine Arbeitsumgebung schaffen wollten, in der wir uns entfalten können. Wir brauchen viel Freiheit. Wir machen Workations auf Bauernhöfen oder in handwerklichen Betrieben, um mit den Händen zu arbeiten und ständig zu lernen oder arbeiten in der Natur, die wir als Home-Office nutzen. Und wenn wir eine konkrete Idee haben, die wir als relevant empfinden, dann arbeiten wir daran auch ohne Auftrag, aber aus Überzeugung.

Mit welcher Frage- und Aufgabenstellungen treten eure Kunden an euch heran?

Unsere Auftraggeber*innen sind sehr unterschiedlich und  kommen aus dem öffentlichen Sektor oder aus der Privatwirtschaft. Von Kleinstunternehmen bis Großkonzern. Wichtig für uns ist immer die ehrliche Intention unserer Partner*innen, sodass unsere Arbeit nicht für Greenwashing Zwecke genutzt wird. 

Im privatwirtschaftlichen Sektor ist es meist so, dass Unternehmen sich neu ausrichten oder nachhaltiger werden wollen. Hier starten wir immer mit einer intensiven Analyse. Was kann das Unternehmen? Welche Kultur herrscht vor? Welche Herausforderungen hat es? Basierend darauf erarbeiten wir dann gemeinsam, welche Handlungsfelder authentisch zur Neuausrichtung genutzt werden können. 

Im öffentlichen Sektor ist es meist so, dass wir konkret für Kampagnen, Installationen, Workshops, Moderationen oder Projektumsetzungen angefragt werden. 

In beiden Bereichen werden wir auch für Vorträge angefragt. Entweder zu unserer Arbeitsweise oder zu Ergebnissen unserer Forschungsprojekte. 

Und dann sind da auch noch eigene Projekte, für die wir entweder Partner*innen oder Fördermittel akquirieren müssen. Da kommt die Fragestellung dann von unserer Seite. Unsere Proaktivität ist ein elementarer Aspekt in der Akquisestrategie. Schließlich wollen wir nicht an Projekten arbeiten, hinter denen wir nicht stehen. 

Welche Rolle spielt ihr als Food Kompanions? Habt ihr eine gesellschaftspolitische Botschaft, die die Basis eurer Arbeit bildet?

Unsere Botschaft ist, dass alles, was wir als Gesellschaft heute tun, Konsequenzen hat und dass wir entsprechend alles, was wir heute gestalten, im Einklang mit den Bedürfnissen von Mensch und Natur gleichermaßen tun müssen. Uns geht es darum, lokale Systeme zu gestalten, die Diversität zelebrieren und entsprechend aus sich heraus Resilienz aufbauen können. Auch die agile Haltung bei unserer Arbeit ist ein Grundprinzip, was es uns ermöglicht, sich konstant an den Wandel anzupassen.

Mit der Art und Weise wie wir arbeiten, wollen wir zeigen, dass es sehr viel Spaß machen, kann Systeme und Prozesse zu hinterfragen und neu zu gestalten. Dass es sich nicht um Einschränkungen, sondern um Chancen handelt, wenn man zukunftsfähige Systeme schaffen möchte. Dabei ist es uns auch wichtig, nicht dogmatisch zu sein, weil es extrem viele Wege für Lösungen und Definitionen von ‘nachhaltig und zukunftsfähig’ gibt.

Ihr benennt die Forschung zu Lebensmittelwertschöpfung und Lebensmittelsystemen zu euren Kernleistungen. Könnt ihr uns an einem Beispiel erklären, wie solch ein Forschungsauftrag aussehen kann?

Nehmen wir mal unser Projekt Mensa 2.0 als Beispiel, für das wir von dem

Kompetenzzentrum für Ernährung Bayern (KErn) beauftragt wurden. Dort ging es um die Frage, wie sieht die Mensa der Zukunft aus, wenn der Bildungssektor und der Ernährungskontext sich verändert. Für das Projekt haben wir diverse Studien durchforstet und identifiziert, welche Leuchtturmprojekte es bereits gibt und welche Herausforderungen bestehen. Daraufhin haben wir 18 Betriebe besucht, vor Ort das Geschehen vor und hinter den Kulissen beobachtet und die User Experience durchlebt. Interviewleitfäden erstellt und 27 Tiefeninterviews mit verschiedenen Akteur*innen geführt.

Aus den Erkenntnissen dieser Schritte haben wir Handlungsfelder abgeleitet. Basierend darauf haben wir vier Zukunftsszenarien entwickelt. Diese Ergebnisse dienen nun als Inspiration für Studentenwerke, aber auch für Betriebskantinen. Durch dieses Projekt ist die Gemeinschaftsgastronomie zu einem Steckenpferd von uns geworden. Mittlerweile arbeiten wir mit einem Großcaterer zusammen und sind Projektpartnerin der Kantine Zukunft – einer Initiative zur Umstellung konventioneller Berliner Kantinen auf bio-saisonal.

Aktuell forschen wir zu Direktvermarktung von landwirtschaftlichen Betrieben und zu Fleischalternativen und ihrer Bedeutung für die Lebensmittelindustrie und den Einzelhandel. 

Bei der Forschung ist uns wichtig, die Kontexte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, und uns nicht nur mit Expert*innen auszutauschen, sondern andere Disziplinen, Nutzer*innen und Praktiker*innen einzubeziehen. Wir betrachten den Kontext auch aus der historischen Perspektive, schauen durch die gesellschaftliche Linse darauf und betrachten die Natur als eine gleichberechtigte Akteurin in jedem Lebensmittelystem.

Food Kompanions forscht nicht nur, ihr gestaltet auch, entwickelt Installationen und nicht zuletzt entwickelt ihr Storytelling-Strategien für Lebensmittelakteure. Warum braucht es diese verschiedenen Wege, Lebensmittelthemen zu kommunizieren?

LEBENSmittel heißen nicht umsonst so. Der Mensch kann ohne sie nicht überleben. Aus diesem Grund müssen wir Lebensmittel so produzieren, dass wir langfristig von ihnen leben können. Und genau dafür wollen wir die Zukunft heute mitgestalten. Entsprechend arbeiten wir viel mit positiven Zukunftsvisionen – also Utopien statt Dystopien. Eine Zukunftsvision konkret darzustellen, lässt sie möglich und machbar erscheinen. Wir wollen damit das Feuer fürs Machen und Gestalten entfachen und etwas Angst vor dem nötigen Wandel nehmen. Mit unseren Installationen lassen wir Menschen in solche Zukunftsszenarien eintauchen und zwar über unterschiedliche Sinne, wie schmecken, hören und fühlen. 

Es gibt eine so große Auswahl an Lebensmitteln und Wegen, diese zu beziehen und ein großer Teil der westlichen Gesellschaft kann es sich Dank des Wohlstandes leisten, sich mit Lebensmitteln auseinanderzusetzen – also über dem Stillen des Grundbedürfnisses hinaus. Hier wird Storytelling relevant. Zum einen unterstützt es dabei Entscheidungen leichter zu fällen: nehme ich den schwarzen Bio-Tee oder den fair produzierten ohne Biosiegel, bei dem 0,50€ in die Förderungen von Frauen in der Teeproduktion gehen? Kaufe ich im Supermarkt oder im regional vernetzten Unverpacktladen ein? Wenn ich als Käufer*in nichts über das Produkt weiß, hat es keinen wirklichen Wert. Warum sollte ich dann mehr bezahlen oder gar einen komplizierteren Beschaffungsweg auf mich nehmen? Viele tolle Betriebe – vor allem kleine und mittelständische – glauben, dass es gar nicht so spannend ist, zu zeigen, wie sie arbeiten und wer hinter den Produkten steckt. Dabei ist es sogar sehr spannend und vor allem relevant, weil man damit Vertrauen zum Endverbraucher aufbaut. 

Storytelling betreibt man allerdings nie alleine. Es ergibt sich aus der eigenen Geschichte, die man erzählt und der, die andere über einen erzählen. Je ehrlicher und transparenter ich als Lebensmittelmacher*in über meine Produkte kommuniziere, desto mehr vertrauensvolle Kund*innen kann ich gewinnen, die meine Geschichte weitererzählen. Dafür braucht man auch keine enormen Marketingbudgets oder das schickste Branding. 

Sehr spannend finde ich euer Format „Trüffeljagd“. Hier geht es vornehmlich darum, Menschen aus dem traditionellen –  und aussterbenden – Metzgereibetrieb mit Themen wie Service Design, authentisches Employer Branding, zu „alternativen Proteinen“ und der Digitalisierung in Kontakt zu bringen. Euer Projekt Butcher‘s manifesto geht in dieselbe Richtung. Was reizt euch daran, mit Metzgern zu arbeiten, deren Arbeit völlig entgegen dem Trend der fleischlosen Ernährung geht?

Die Fleischproduktion und der -konsum, und damit auch das Metzgerhandwerk, sind ein sehr wichtiger Hebel in unserer Esskultur und Landschaftsgestaltung. Bei der Fleischdebatte sollten wir auch nicht vergessen, dass eine artgerechte Haltung von Nutztieren ein essentieller Teil von geschlossenen Kreisläufen in der Landwirtschaft ist. Das Metzgerhandwerk scheint entgegen der fleischlosen Ernährung zu stehen, sorgt in Wirklichkeit aber dafür, dass die Wertschätzung des Fleisches bestehen bleibt, geschlossene Kreisläufe möglich sind und wir als Gesellschaft den Bezug zu der Fleischherkunft nicht verlieren. Massentierhaltung und Billigfleisch wiederum machen es möglich, Fleisch zu konsumieren ohne einen Bezug zur Fleischproduktion zu haben. Das Metzgerhandwerk hingegen vermittelt das Wissen und die Kultur.

Dennoch ist es klar, dass es auch Umstellungen bei dem Handwerk geben muss. Mit unserer Arbeit mit dem Metzgerhandwerk bringen wir den Wandel in die Branche, in dem wir die darin verankerten Menschen dabei unterstützen, sich auf authentische Art und Weise an den Zeitgeist anzupassen. Wenn mehr Fleisch produzierende Betriebe auf faires Fleisch umstellen, also auf alte Rassen, Freilandhaltung, Bio und ein nose-to-tail Angebot, dann schaffen wir es, uns nach und nach von der Massentierhaltung zu entfernen und eine wirkliche Alternative zu bieten. Zudem gibt es die Möglichkeit, auch bei handwerklicher Produktion Alternativen mit einem reduzierten Fleischanteil zu integrieren, um eine Anpassung oder Umstellung zu unterstützen. 

Auch handelt es sich nicht wirklich um einen Trend der fleischlosen Ernährung. Sondern um eine evolutionäre Entwicklung der westlichen Ernährung hin zu Fleischreduktion: Die Massentierhaltung hat zu hohe Auswirkungen auf das Klima, die wir uns nicht mehr leisten können. Auch hier muss man sagen, dass Fleisch so tief in unserer Kultur verankert ist, dass die meisten Produkte, die den Trend der fleischlosen Ernährung befolgen, sich dem Image und der Rolle des Fleisches bedienen, um überhaupt Akzeptanz in unserer Diät zu finden. Hinzu kommt, dass wir in der westlichen Ernährung zu viele Proteine konsumieren, was den übermäßigen Fleischkonsum auch aus ernährungsphysiologischer Sicht nicht mehr rechtfertigt. 

Welche Chancen seht ihr für die Lebensmittelwertschöpfung in der Arbeitswelt der Zukunft?

Zum einen sehen wir es als eine Notwendigkeit für die Lebensmittelbranche, das beinhaltet auch die Landwirtschaft, sich zu agilisieren. Das heißt also sich zu öffnen, den Mut zu Veränderungen zu haben und mit der Zeit zu gehen, sich anzupassen, manchmal auch radikal. Die Lebensmittelbranche in Deutschland ist etwas zurückhaltend, wenn es um Innovation und Transformation geht. Außerdem liegt eine große Chance darin, den aktuellen Wandel zu nutzen und neue Systeme, Produkte, Geschäftsmodelle und Berufe zu erschaffen, die den heutigen Bedürfnissen von Mensch und Natur gerecht werden. Warum also nicht zum Beispiel Stellen schaffen für regionale Resilienz-Beauftragte, die sich der Koordination regionaler (Lebensmittel-)Handelsstrukturen widmen? 


Stephanie Ries

Olga Graf

Anastasia Eggers

Food Kompanions ist eine Berliner Agentur für Forschung, Design und Beratung für nachhaltige Lebensmittelwertschöpfung. Das Team gestaltet zusammen mit Akteur*innen aus dem öffentlichen und privatwirtschaftlichen Sektor zukunftsfähige Lebensmittelsysteme für Natur und Mensch. Ihre Arbeit folgt den agilen Werten und Prinzipien, die es ihnen ermöglichen ihre Projektpartner*innen von der Identifikation relevanter Handlungsfelder über Kommunikation bis hin zur Implementierung in Zeiten des Wandels zu begleiten.

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