»Kommt, wir erfinden ein neues Betriebssystem«

  • 28.03.2018
  • von Inga Hoeltmann
Neue Arbeit ist nicht neue Tools oder Gleitzeit oder Home Office, sondern vor allem die Haltung, mit der wir uns auf den Weg machen. Ein Plädoyer für wirklich neues Arbeiten ...
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Kürzlich schickte mir eine Freundin einen Link: Freunde von ihr hatten gegründet, ein Food-Startup. Die Freunde vertreiben seit Kurzem einen Bio-Snack und sie war sehr stolz darauf. Ich schaute mich auf der Seite um und mich beschlich ein Unbehagen. Dabei sah die Seite eigentlich ganz normal aus – zwei junge Männer, beide schwarz gekleidet, hatten sich an verschiedenen Orten in Berlins Straßenbild ablichten lassen, um ihr Produkt dem geneigten potenziellen Käufer zu präsentieren.

Doch je mehr ich mich auf der Seite umsah, umso stärker nahm ich mein diffuses Unbehagen wahr. Als ich mir die Zutatenliste für den Snack ansah, stellte ich fest, dass es sehr ähnliche Produkte bereits zuhauf in Bio-Läden gibt, doch auf der gesamten Seite stand nichts davon, warum sie genau dieses Produkt entworfen hatten, was sie zum Gründen bewogen hatte und was ihre Vision ist – von Ernährung, vom miteinander Arbeiten oder von der Welt in der wir leben. Stattdessen hatte ich den Eindruck, die beiden hatten vor allem gegründet, weil sie Lust aufs Gründen hatten und wenn es nicht dieses Produkt geworden wäre, hätte es auch irgendein anderes Produkt sein können.

Und je länger ich darüber nachdachte, umso klarer wurde mir, dass mir dieses Gefühl des Unbehagens sehr vertraut war. Ich hatte es schon häufiger verspürt. Zum Beispiel auch kürzlich auf einer Veranstaltung, bei der es den ganzen Tag mit viel Tamtam und teuren Speakern um Neue Arbeit ging. Ein Vortrag reihte sich an den anderen, ein Panel ans nächste. Lauter Männer waren geladen worden, um mir ihre Sicht auf die Dinge zu erklären – von Frauen (fast) keine Spur. Auch ich als Besucherin war nicht gefragt, ich durfte nur Zuhören und am Ende der Vorträge brav klatschen. Auch hier: Großes Unbehagen. Irgendetwas fühlte sich nicht richtig an, als sei es aus der Balance.

Beide Begebenheiten mögen auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben, doch ich habe realisiert, dass sie für mich eng zusammengehören. Beides trägt einen Keim von etwas Positiven in sich, doch er wird nicht sprießen können, denn das Umfeld ist nicht richtig. Weil wir nicht nach dem Warum fragen: Warum gründe ich? Will ich tatsächlich etwas verändern oder nutze ich nur die Strukturen für mich? Warum organisiere ich diese Veranstaltung? Will ich wirklich einen nachhaltigen Dialog anstoßen oder geht es mir vor allem darum, mich selbst positionieren?

Je länger ich mich mit Neuer Arbeit beschäftige, umso klarer wird mir, dass wir das, was wir anstreben, einbetten müssen in eine neue Vision unserer Gesellschaft. Unsere Arbeit und damit auch unsere Unternehmen sind Teil dieser Gesellschaft und genau so sollten wir sie auch behandeln. Allzu lange haben wir uns eingebildet, dass Arbeit und Leben (unsere Freizeit) irgendwie zwei unterschiedliche Dinge sind, dass es nichts ausmacht, wenn wir gesellschaftliche Ungerechtigkeiten innerhalb von Organisationen hinnehmen. Wir dachten, dass es Sache der Unternehmenslenker ist, ob Unternehmen divers aufgestellt sind oder ob sie gerecht entlohnen und wir ihnen da nicht reinreden dürfen oder können. Doch Unternehmen sind Teil dieser Gesellschaft und wenn wir arbeiten gehen, verbringen wir viel Lebenszeit in ihnen. Was in Unternehmen passiert ist ein Spiegel dessen, was unsere Gesellschaft und unser Privatleben ausmacht.

Ich finde es gut, dass wir mittlerweile eine breite Debatte über Neue Arbeit haben. Es stört mich ganz und gar nicht, dass sie ein “Trend” geworden ist oder dass sie im “Mainstream” angekommen ist. Jedem, dem es um die Sache geht, muss das freuen, denn nur so haben wir die Chance, dass sich wirklich was ändert. Doch je mehr Menschen darüber sprechen, je lauter das Rauschen wird, je mehr Strömung und Bewegung entsteht, umso dringender müssen wir innehalten und genau analysieren, was wir da eigentlich tun und warum. Umso klarer müssen wir unsere Vision entwickeln, die wie ein Kompass helfen kann, die richtige Richtung in der Fülle der möglichen Wege nicht aus den Augen zu verlieren.

Diese Welt ist so komplex, dass wir auch das Richtige aus den falschen Beweggründen heraus tun können. Wir müssen uns deshalb immer fragen: Warum tue ich, was ich tue? Wer Neue Arbeit zum Beispiel missversteht als Effizienzsteigerungsmaßnahme, hat ihren Kern nicht verstanden. Wer seine Mitarbeiter gesund erhalten möchte, weil sie dann mehr und besser und länger arbeiten können, irrt sich über den zutiefst humanen Kern dieser Ideen. Es geht eben nicht darum, unser Wirtschaftssystem auf die nächste Stufe seiner Effizienz zu hieven, sondern endlich zum Kern zurückzukehren: Zum Menschen. Zu uns.

Deshalb macht es einen Unterschied, in welchen Formaten wir auf Veranstaltungen über Neue Arbeit nachdenken oder in welcher Sprache wir über sie sprechen. Deshalb macht es einen Unterschied, aus welchen Gründen wir Ideen entwickeln und Projekte aus der Taufe heben. Und deshalb macht es auch einen Unterschied, ob unsere Gründung einfach nur ein Job für uns ist, der die Miete bezahlt, oder ob wir tatsächlich eine Vision haben, eine echte Mission. Wenn wir nicht die Logik verändern, innerhalb derer unser Handeln stattfindet, wird es nicht seine Wirkung entfalten können. Deshalb ist Neue Arbeit nicht neue Tools oder Gleitzeit oder Home Office, sondern vor allem die Haltung, mit der wir uns auf den Weg machen. Neue Arbeit ist die Leitplanken, innerhalb derer wir ausprobieren und lernen. Neue Arbeit heißt: Kommt, wir erfinden ein neues Betriebssystem. Um nichts weniger muss es uns gehen – sonst bleibt alles nur Kosmetik.

Mehr Texte von Inga Höltmann zu Neuer Arbeit gibt es übrigens hier auf ihrem Blog und immer hier auf Twitter.

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