»zukunft essen«

  • 16.06.2021
  • von christiane kuerschner
Vom eigenen Feld im Spreewald direkt auf den Teller im eigenen Hotel-Restaurant: Wir sprachen mit Nadine Michelberger über das neue Hof-Projekt unseres geliebten Michelberger Hotels - und über nachhaltige Wirtschaftsweisen ...
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Wir lieben es, die Teilnehmer*innen unserer Ausbildung zum*r New Work Professional oder sonstiger Les Enfants Terribles-Formate auch und überhaupt: Das Michelberger Hotel an der Warschauer Brücke in Berlin nimmt einen sofort in die Arme, wenn man dort zu Gast ist. Nadine und Tom Michelberger haben es vor über einem Jahrzehnt gegründet und kuratieren alles, was in diesen vier Wänden passiert, mit größter Sorgfalt und dem Blick fürs Besondere. Ihr neuster Clou: der Michelberger Hof. In der Lausitz liegt das Exil, auf dem die frischen Lebensmittel wachsen, die später im Michelberger Restaurant auf den Tisch kommen. Wir sprachen mit Nadine über die Motivation und Organisation dieses immensen Projekts.

Liebe Nadine, wie kam es zur Idee des Michelberger Hofes?

Als Hotel und Restaurant haben wir natürlich viel mit hochwertigen Lebensmitteln und entsprechend mit produzierendem Handwerk zu tun. Das Netzwerk an Zulieferern ist immer noch begrenzt, um beste Qualität nachhaltig einkaufen zu können. Auch die Wertschätzung für diese Bereiche, inklusive der Verarbeitung und Weiterreichung an den Gast ist noch zu erhöhen.

Da wir selbst aus der Landwirtschaft kommen und einen Beitrag dazu leisten wollen, Menschen die regenerative Anbauweise und die Möglichkeit, mit der Natur – anstatt gegen sie – zu arbeiten, und dabei hochwertigste Produkte zu ernten, sie auf den Teller zu bringen und auch noch darüber erzählen zu können, war es dann irgendwann ein logischer Schritt, dafür einen Ort, den Michelberger Bauernhof, zu gründen. 

Das Michelberger Hotel an der Warschauer Brücke @Philipp Obkircher

Und wann startete das Projekt und in welcher Phase befindet es sich jetzt?

Wir haben den Hof im Spreewald Ende 2018 erworben. Zunächst haben wir uns um die Erholung und den Wiederaufbau der Landwirtschaftsfläche gekümmert, d. h. Müllentsorgung, Gründüngungen, Anbauplanentwicklung, Vernetzung mit der örtlichen Infrastruktur, Renovierung des Haupthause, etc. Dann wurden Ende 2019 in einer großen Pflanzaktion mit all unseren Mitarbeiter*innen und vielen fleißigen Helfer*innen mehr als 15.000 Pflanzen, zuerst Bäume und Sträucher und in der zweiten Phase Gemüse und Kräuter, in den Boden gebracht.

Auch konnten wir schon im ersten Sommer aus kleineren Probeflächen Gemüse für unseren Mittagstisch ernten. Ein weiterer Schritt war dann, eigene Jungpflanzen für die nächste Saison zu ziehen. Gleichzeitig wurden die Ideen immer klarer, welche Nutzung wir in die verschiedenen Gebäude bringen wollen. So haben wir neben dem Haupthaus und der Werkstatt nun eine Vorbereitungsküche, in der direkt die Feldernte verarbeitet wird und in diesem Sommer beginnen wir mit dem Bau des Herzstücks unseres Hofes, einer großen Scheune mit Übernachtungsmöglichkeit für etwa zwölf Personen und einer wunderschönen Restaurantküche, in der gelebt, gelernt, gekocht und gearbeitet werden wird.

Wie groß ist denn die Anbaufläche und was gehört neben den Anbauflächen noch alles zum Hof?

Die Anbaufläche hat ca. 1,5 ha und ist hinter der für den Spreewald klassischen Vierseitenhofstruktur gelegen, also Haupthaus an der Straßenfront, rechts und links flankierend die Arbeitsscheunen sowie dann zum Feld übergehend die Glasscheune.

Und nach welchem Prinzip baut ihr die Lebensmittel an?

Nach den Prinzipien der regenerativen Agroforstwirtschaft, ein System das Natur und Landwirtschaft verbindet. Natürliche Ressourcen werden in einem landwirtschaftlichen System regeneriert, dabei mehr Nahrung, Biomasse und Rohstoffe produziert. Kohlenstoffe werden gebunden, Sauerstoff generiert, Wasser geklärt und Humus aufgebaut, also die gesamte Lebensraumqualität – unter und über der Erde – verbessert sich drastisch.

Wir als Mensch finden endlich unseren Platz in diesem System, wir unterstützen, pflegen, ernten und bauen auf.  

Ich habe gelesen, dass die Zusammensetzung eurer ein- und mehrjährigen Pflanzungen in Deutschland einmalig sein soll. Kannst du uns das genauer erklären?

Einzigartig ist sicher die Dichte, Komplexität und Diversität der Pflanzung – und schließlich die konsequente Umsetzung. Wir haben mit unseren Köchen genau geschaut, welche Pflanzen wir wie in der Küche alternativ verwenden können, um die mehrjährigen Gemüse, da sie schonender für den Boden sind, in den Fokus setzen zu können.

Die Blätter bestimmter Gewächse schmecken beispielsweise spinatähnlich und können so ganz eigen verarbeitet werden. Auch die Auswahl der Sorten ist so gewählt, dass wir ganzjährig ernten können: vom Frühapfel bis zum Mostapfel, dazu Mispeln, Quitten, usw. Unsere Küche richtet sich ganz nach dem, was auf dem Feld ist, was die Natur uns vorgibt. 

Wer arbeitet auf dem Hof und wie kommen die Produkte in euer Berliner Restaurant?

Meine Schwester Denise May und unser ehemaliger Koch Julian Zuth, mit dem wir schon vor Jahren davon geträumt haben, unser eigenes Gemüse anzubauen, sind hauptverantwortlich auf dem Hof. Zudem ist unser gesamtes Hotelteam eingebunden mit Arbeitseinsätzen und immer wieder kommen Freiwillige oder (fachlich) Interessierte aus Berlin und Umgebung.

Dann haben wir jetzt ein eigenes einjähriges Trainingsprogramm an der Schnittstelle Hof, Küche und Restaurant aufgebaut, in dem die Hofarbeit fester Teil des Programms ist. Transportiert wird das frisch Geerntete direkt auf dem Heimweg nach Berlin zu uns ins Hotel.   

Welchen Anteil haben die Produkte an der Gesamtmenge der verarbeiteten Zutaten im Restaurant?

Der Anteil, der von uns kommt, wächst von Jahr zu Jahr. Was unsere Ernte hier auf dem Hof hergibt, wird bei uns verarbeitet, wie z. B. Topinambur, der wurde in vielen unterschiedlichen Gerichten in jeglicher Form zubereitet, bis lange in den Winter hinein.

Da alle bei uns verwerteten Zutaten von nahezu Anfang an biologisch und regional waren, beziehen wir alles, was wir zusätzlich brauchen von Bauern, Jägern, Fischern und Handwerksbetrieben, die nach gleichen Maßstäben wie wir arbeiten und die wir persönlich kennen.  

Für euch war dieser Hof der nächste logische Schritt zu einem ganzheitlichen Unternehmen. Welche anderen wesentlichen Bausteine gibt es und was ist euer langfristiges Unternehmensziel?

Ich würde sagen, dass wir nicht als geschlossenes Unternehmen denken, sondern eher in Lebenszeit. Um die Persönlichkeiten, Begegnungen und gemeinsamen Erfahrungen an unserem Ort formen sich Gedanken zu Ideen – und vielleicht irgendwann zu konkreten Projekten.

Tom und ich halten hierfür den Rahmen, hören zu, träumen und versuchen die Wellen zu reiten, wenn sie kommen.

Und die Gemeinschaft mitzunehmen. Womit wir uns auf jeden Fall sehr wohl fühlen, ist der Aufbau von unabhängigen Infrastrukturen, der Belebung von Orten und dem Zusammenbringen von Menschen in maximaler kreativer Freiheit. 

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