»Ich worke nicht, ich wirke«
Oder: Wie wir durch Selbstwirksamkeit aus der Ohnmacht finden können.
Gerade in Zeiten von Krisen und Krieg und komplexen Herausforderungen vor der Nase suchen wir nach Auswegen aus dem Ohnmachtsgefühl. Selbstwirksamkeit ist hier das Wort der Stunde.
Und das Wort, über das ich immer wieder stolpere. Also nicht in dem Sinne, dass es mir zu oft unterkäme. Nein, eher dieses erstaunte Stolpern: Wie kann denn ein Mensch nicht wirksam sein? Und nicht selbst?
Und in der Tat: Eigentlich ist das Wort „Selbstwirksamkeit“ die Verkürzung von Selbstwirksamkeitserwartung. Was wiederum ein von Albert Bandura entwickeltes Konzept ist, das beschreibt, wenn sich ein Mensch etwas zutraut und daran glaubt: „Das, was ich tue, wird eine Wirkung haben.“
Es geht also um Zweierlei: zum einen um Wirkung des eigenen Handelns. Und zum anderen um die Einschätzung der eigenen Kompetenzen.
Die Wirkung des eigenen Handelns
Und da ist es, das Stolpern: Hat das eigene Handeln nicht immer eine Wirkung? Oder – frei nach Watzlawick: Man kann doch nicht nicht wirken! Wenn ich etwas tue – und auch wenn ich etwas lasse – dann hat das eine Wirkung. Wenn ich jemanden coache, einen Kuchen backe oder Geld von der Bank abhebe. Wenn ich einkaufe, die Nachrichten ausschalte oder vergesse, einen Brief zum Briefkasten zu bringen. Wenn ich meinen Mund aufmache oder zu etwas schweige, einen Job annehme oder meine Mitarbeit verweigere. Jeden Tag wirke ich mit meinem Handeln (übrigens ist das Denken auch eine Handlung!). Wirken wir alle mit unserem Handeln. Verändern wir alle die Welt, gestalten wir Welt. Sind wir wirksam.
Aber sind wir auch selbstwirksam? Kommen wir zu den Kompetenzen.
Wo die Fremdeinschätzung überhand nimmt, verkümmert die Selbsteinschätzung
Im Kontext der Arbeits- und Bildungswelt beobachte ich seit vielen Jahren, dass Kompetenzen meist auf Fertigkeiten verkürzt werden: Auf Messbarkeit getrimmt und jederzeit bereit, bewertet und verglichen zu werden. Als Kriterium in Bewerbungsprozessen. Als potenziell einsetzbare Ressourcen in der Arbeitswelt, als ökonomische Größe in einer neoliberalen Welt: Vom Kompetenzerwerb in Kompetenzrastern hin zu Zukunftskompetenzen. Oha. Und ausgerechnet „Selbstwirksamkeit“ zählt zu den Schlüsselkompetenzen.* Da kann man doch schon mal stolpern, nicht wahr?
Meiner Meinung nach erzeugt dieser verkürzte Umgang mit Kompetenzen (und mit „Selbstwirksamkeit“) nicht nur Stress, sondern verhindert geradezu Selbstwirksamkeit. Denn der für die Selbstwirksamkeit essentielle Zusatz der Einschätzung der eigenen Kompetenzen wird hier systematisch und erfolgreich vernachlässigt. Wo die Fremdeinschätzung überhand nimmt, verkümmert die Selbsteinschätzung: Du hast ein tolles Projekt konzipiert und warst aber bei der Präsentation vor den Geldgebern zu aufgeregt, um es entsprechend rüberzubringen? Dann fällt es auf einmal viel schwerer, das eigene Konzept dafür selbst noch toll zu finden.
Dabei mag es an vielem mangeln in der Welt, aber an Kompetenzen schon mal nicht:
Und eignet sich darüber hinaus so gut wie täglich weitere an.
Dazu muss man bedenken: Kompetenzen sind weit mehr als Schulbuch- oder Fachwissen: Kompetenzen sind alle Fähigkeiten, die Leute mitbringen: Fertigkeiten – im Umgang mit Dingen, mit Informationen und mit Menschen, persönliche Eigenschaften jeder Art sowie (Erfahrungs- und Fach-)Wissen. Ein Fass ohne Boden. Einfach fantastisch!
Die eigenen Einschätzung zählt
Und jetzt kommt es: Wenn alles, was wir tun, eine Wirkung hat. Und jeder Mensch unfassbare viele Kompetenzen hat. Was braucht es noch, für mehr Selbstwirksamkeit?
Bandura hat im wesentlichen vier Aspekte herausgearbeitet, die Selbstwirksamkeit unterstützen:
1. Eigene (auch kleine) Erfahrungen machen
2. die Erfahrung anderer als Vorbild nehmen
3. Ermutigung von außen erfahren sowie
4. das sinnliche bzw. emotionale Erleben des eigenen Handelns.
Diesen Aspekten ist gemein, dass sie ein Bewusstsein, eine Achtsamkeit, eine Selbstreflexion voraussetzen: Ich nehme wahr, dass ich handele. Ich kann mir vorstellen, ähnlich zu handeln, wie mein Vorbild etc.
Selbstwirksamkeit also macht uns Menschen zu Menschen. Und birgt somit das enorme Potenzial, das eigene Handeln zu steuern: Ich nehme mir vor, etwas zu tun, meine Kompetenzen einzusetzen – um etwas Bestimmtes zu bewirken. Ich bin keine Katze, die die Kaffeetasse umschmeisst und das Schrotten meines Laptops bewirkt. Ich bin kein Baum, der Sauerstoff produziert. Ich bin ein Mensch, der weiß oder wissen kann, was er tut und bewirkt.
Selbstwirksamkeit ist nicht per se etwas Gutes.
Zwei weitere Zutaten.
Damit wir jedoch aus der Ohnmacht finden; damit unsere Arbeitswelt und Welt durch unsere Arbeit und unser Handeln eine bessere werden kann, braucht die Selbstwirksamkeit meiner Meinung nach noch zwei weitere wichtige Zutaten:
Hinsichtlich des Aspektes der Wirkung braucht es Werte.
Und mit Blick auf Einschätzung der Kompetenzen das, was ich „das Gerne“ nennen möchte.
Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass Selbstwirksamkeit per se etwas Gutes sei. Doch Selbstwirksamkeit ist kein Wert an sich: Jahrelang Belangloses zu verrichten, daran beteiligt zu sein, Menschen auszubeuten oder bei einem Verbrechen wegzuschauen – all das kann genauso als selbstwirksam definiert werden (= hat eine erwartete Wirkung, umgesetzt durch Kompetenzen), wie menschliche Hilfe zu leisten, eine ökologische Innovation zu entwickeln oder Kindern eine Freude zu machen. Spätestens in dem Moment, in dem man sich der Wirkung des eigenen Handelns gewahr wird, greift die Definition von Selbstwirksamkeit.
Natürlich kann eine Wirkung oft auch ambivalent, mehrdeutig, schwer absehbar oder auch gänzlich unerwartet sein. Sie ist nicht entweder nur gut oder nur schlecht. Aber ihre Einordnung ist immer eines: an unseren eigenen Werten ausgerichtet. Möchte ich eine gute Note von den Vorgesetzten bekommen oder den Kund*innen wirklich helfen? Möchte ich solidarisch handeln oder meinen Job behalten? Welcher meiner Werte wird genährt? Welcher verletzt durch die Auswirkung meines Handelns?
Und schließlich ein paar Worte zum „Gerne“: Bei der Einschätzung von Kompetenzen steht uns unsere (Un-)Kultur von Bewertung und Leistungsvergleich, von Konkurrenz und Zeugnissen, von Zertifikaten, von klassischen Mitarbeitergesprächen und Hierarchiekultur sehr im Wege. In meiner eigenen Arbeit bei der Entwicklung und Umsetzung von Konzepten und Formaten für die Arbeitswelt stellen mein Team und ich immer wieder fest: Noch nicht mal in der Bildungs- und Arbeitswelt nützen uns Bewertungen! Herrje! Wir brauchen doch nicht die „Besten“! Und es kommen auch nicht die „Besten“ besser voran im Leben (was immer wir darunter vertehen).
Ob ich besser oder schlechter in etwas bin als andere, ist obsolet. Es wird schließlich immer Leute geben, die etwas besser können oder eben auch nicht. So what? An manchen Tagen, in bestimmten Situationen, generell – egal!*** Und wer gibt eigentlich wem das Recht, mich oder Dich oder andere zu bewerten? Standardisierte Bewertungen von außen sind immer relativ. Sie sind von Umständen und Launen anderer abhängig. Von technischen und gedanklichen Möglichkeiten begrenzt. Auf jeden Fall wenig belastbar. Wenig hilfreich.
Ob ich dagegen meine Arbeit als sinnvoll und relevant erlebe. Dass ich merke, wie sie mir Energie gibt und Freude macht. Ich dermaßen eintauche und über ihr Zeit vergesse und kein Ende finde, wenn ich voll in meiner Veranstaltung bin oder einen Text über Selbstwirksamkeit schreiben darf – dieses gute Erleben von Wirksamkeit ist nicht relativierbar, das ist einfach so! Das ist eine belastbare und hilfreiche Einschätzung, wenn ich weiß, dass ich etwas gerne tue. Und wer etwas gerne tut, ist bekanntlich in großer Gefahr, darin gut zu sein.
Ich bin dankbar dafür, dass mich meine eigene Biographie früh gefordert hat, meine Werte zu erkunden und mir klar zu werden: Ich möchte mich von äußeren Bewertungen befreien, so gut es geht. Und stattdessen schauen, dass ich die Dinge in meinem Leben gerne machte, relevant finde, wertvoll finde. Darauf, dass es mir gut geht. Ich kann und muss mein Leben selbst in die Hand nehmen, verantworten, leben.
Und diese Haltung der Selbstwirksamkeit weiterzutragen, mit Gerne und Werten, habe ich schließlich gemeinsam mit anderen sogar zu meinem Beruf machen können. Auf dass wir alle unser Schaffen (aka als „Arbeit“) in jeder kleinen Handlung an positiven Absichten ausrichten, unsere eigenen Kompetenzen bewusst und gerne auswählen, das Gelingende wahrnehmen und feiern – und nicht zuletzt in Beziehung und Resonanz mit anderen Menschen teilen.
Anmerkungen zum Beitrag
* Die OECD (ja, die Institution der Marktwirtschaft, die sich seit vielen Jahren (aus mir unerfindlichen Gründen recht unhinterfragt) zu einer Instanz in Sachen Bildung und Kompetenzen aufstellt, zählt im „Lernkompass 2030“ ausgerechnet „Selbstwirksamkeit“ zu den wichtigsten Zukunftskompetenzen, die Schülerinnen und Schüler erwerben und mitbringen sollten.
** Dazu hat der Liedermacher Bodo Wartke einen treffenden Song geschrieben: „Das falsche Pferd“.
*** Ich empfehle hier mal wieder den guten alten Sir Ken Robinson.
Cathy Narriman, Gründerin von Flipped Job Market, spricht, coacht, berät und schreibt als Politikwissenschaftlerin und Unternehmerin zu den Themen Bildung und Arbeitswelt von morgen. Sie beschäftigt sich mit sozialen Bewegungen und damit, wie einzelne Menschen Gesellschaft und Kulturen verändern können.
Als Innovationscoach unterstützt Juliane Berghauser Pont mit Kreativität und jeder Menge Humor, Organisationen dabei die agile Transformation anzugehen. Bei Flipped Job Market wendet sie diesen potentialorientierten Ansatz an, um Menschen in ihrer persönlichen Innovationsphase zu unterstützen und befähigt sie, ihre Arbeitswelt mit kreativer Zuversicht zu gestalten.